Erklärung zum Austritt aus der PDS (25. Januar 2001)

 

Erklärung zum Austritt aus der PDS (25. Januar 2001)

Austrittserklärung


Hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der PDS.

Begründung:

Der Umbau der PDS durch führende Genossen aus einer sozialistischen in eine dem Wesen nach links-sozialdemokratische Partei ist mit der Erklärung der Vorsitzenden Gabi Zimmer, das neue Parteiprogramm werde “völlig mit der SED-Vergangenheit brechen” (ND v. 22.Januar 01), an einem Punkt angelangt, der mir als einem Genossen, der seit seinem 15. Lebensjahr der kommunistischen Bewegung angehörte und für den die DDR sein Staat und – trotz vorhandener Schwächen und Unvollkommenheiten – die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung war, das Verbleiben in der PDS nicht mehr länger möglich macht.

Hätte die Parteivorsitzende gesagt, es sei nötig, im Parteiprogramm auch die Ursachen für den Untergang der DDR zu benennen, dann wäre das eine dringend notwendige Forderung gewesen, gegen die kein einziger Genosse einen begründeten Einwand hätte erheben können. Dann hätte man sich allerdings nicht – wie das üblich ist -, darauf beschränken dürfen, die Ursachen nur in Fehlhandlungen und Unterlassungen der DDR- und SED-Führungen zu suchen, sondern dann hätte als Punkt Eins eines solchen Abschnittes festgestellt werden müssen:

´Es war für alle mit der Sowjetunion verbundenen und von ihrer wirtschaftlichen, politischen, moralischen und militärischen Unterstützung abhängigen sozialistischen Staaten selbst bei fehlerfreier und makellosester Politik ihrer Führungen unmöglich, zu überleben, nachdem 1985 an die Spitze der KPdSU und des Sowjetstaates ein Mann gekommen war, der sich nach vollbrachtem Verbrechen selbst dessen rühmt, der Sowjetunion und den sozialistischen Staaten in Europa das Ende bereitet zu haben und seinem tiefen Bedauern darüber Ausdruck gibt, dass ihm das nicht auch mit Volks-China gelungen ist.´

Eben dieses hat Herr Gorbatschow im Herbst 1999 in einem Seminar an der Amerikanischen Universität in Ankara getan, indem er ausführte: “Das Ziel meines ganzen Lebens war die Vernichtung des Kommunismus, dieser unerträglichen Diktatur gegen die Menschen. Von meiner Frau, die diese Notwendigkeit sogar noch eher als ich erkannte, wurde ich dabei voll und ganz unterstützt. Gerade um dieses Ziel zu erreichen nutzte ich meine Stellung in der Partei und im Lande. Eben zu diesem Zweck drängte mich meine Frau die ganze Zeit dazu, immer höhere Positionen im Lande einzunehmen. Als ich mich persönlich mit dem Westen bekannt gemacht hatte verstand ich, dass ich von dem gestellten Ziel nicht ablassen durfte.” (Zur Erinnerung: 1984 reiste Gorbatschow nach England und wurde dort von der “eisernen Lady” Thatcher empfangen, die danach des Lobes voll war über ihn, was damals nicht wenig dazu beigetragen haben dürfte, dass er seinen Mitbewerber um die Nachfolge Tschernenkos, Romanow, ausstach.) Doch weiter im Gorbatschow-Bekenntnis: “Um dieses zu erreichen, musste ich die ganze Führung der KPdSU und der UdSSR ersetzen und ebenso die Führung in allen sozialistischen Ländern. Mein Ideal war in jener Zeit der Weg der sozialdemokratischen Länder… .Die Welt wird ohne den Kommunismus besser aussehen. Nach dem Jahr 2000 wird eine Epoche des Friedens und der allgemeinen Blüte anbrechen. Allerdings gibt es in der Welt noch immer eine Kraft, die unser Voranschreiten zu Frieden und Schöpfertum bremsen wird. Ich habe dabei China im Auge. Ich besuchte China in der Zeit der großen Studentendemonstrationen, als es schien, dass der Kommunismus in China fallen wird. Ich beabsichtigte vor den Demonstranten auf jenem riesigen Platz aufzutreten, sie meiner Sympathie und Unterstützung zu versichern und darin zu bestärken, ihren Kampf fortzusetzen, damit auch in ihrem Lande eine Perestroika beginnt. Die chinesische Führung wünschte das nicht. Das war ein unermesslicher Schaden. Wäre der Kommunismus in China gefallen, wäre die Welt weiter auf dem Wege zu Frieden und Gerechtigkeit.”

Warum hat bisher der Parteivorstand der PDS nichts unternommen, dieses Bekenntnis, das doch ein unentbehrlicher Schlüssel für das Verständnis der Ursachen unserer Katastrophe ist, allen Genossen bekannt zu machen? (Eine Erklärung, das sei deshalb unterblieben, weil die Authentizität dieses Textes zweifelhaft sei, sticht aus mehrfachem Grunde nicht: erstens wurde dieser Text schon kurz nach der Rede von der Amerikanischen Universität Ankara im Internet ausgestrahlt; zweitens wurde dieser Text schon mehrfach veröffentlicht, ohne dass ein Dementi Gorbatschows erfolgt ist: im Oktober 1999 in der Zeitschrift “Dialog” der KP Böhmens und Mährens; im Juli und August 2000 in der russischen Zeitschrift: ´Prawda Rossii´, und, von dort übernommen, am 8. September 2000 in der Wochenzeitung der DKP ´Unsere Zeit´; drittens hat sich Gorbatschow in ähnlichem Sinne, wenn auch nicht ganz so deutlich, schon viel früher, zum Beispiel in seinem berüchtigten “Spiegel-Interview” Spiegel 3/1993) “geoutet”; viertens schließlich haben aufmerksame kommunistische Beobachter der Taten Gorbatschows – so auch ich – schon während seiner Amtszeit als Generalsekretär der KPdSU mündlich und schriftlich festgestellt, dass hier kein Kommunist, sondern ein Antikommunist am Werke ist; das zu erkennen war gar nicht schwer, wenn man sich daran hielt, ihn nicht nach seinen Worten, sondern nach seinen Taten und deren Früchten zu beurteilen.)

Die Frage bleibt also: Weshalb wird vom PV der PDS diese für die Beurteilung unserer eigenen Geschichte so ungeheuer wichtige Aussage Gorbatschows unbeachtet und werden die Mitglieder in Unkenntnis dieser Aussage gelassen, und weshalb wird statt dessen unbekümmert, als ob es eine solche Aussage gar nicht gäbe, der “völlige Bruch mit der SED-Vergangenheit” gefordert?

Was aber heißt denn: “Völliger Bruch mit der SED-Vergangenheit” ?

Das heißt:

  1. Völliger Bruch mit: der von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl hergestellten Einheit der deutschen Arbeiterbewegung im Osten Deutschlands. Diese war die Voraussetzung für alle folgenden Siege über das Kapital und den deutschen Imperialismus und Militarismus.
  2. Völliger Bruch mit: der – im Westen unterbliebenen – Entmachtung und Enteignung der Nazis und Kriegsverbrecher, Überführung ihres Eigentums – also auch das der Banken und Konzerne – in Volkseigentum.
  3. Völliger Bruch mit: dem Verbot der Unternehmerverbände.
  4. Völliger Bruch mit: dem auf dem Volkseigentum beruhenden Recht auf Arbeit.
  5. Völliger Bruch mit: der Enteignung der Junker und Großgrundbesitzer, der großagrarischen Bauernleger.
  6. Völliger Bruch mit: der Bodenreform.
  7. Völliger Bruch mit: der Schaffung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften also Bruch mit einer sozialistischen und damit modernsten und rationellsten, erzeuger- und verbraucherfreundlichsten Landwirtschaft.
  8. Völliger Bruch mit: der auf den Grundsätzen von Marx und Engels beruhenden Einheitsgewerkschaft und ihrer entscheidenden mitgestaltenden Rolle bei der gesamtstaatlichen und betrieblichen Wirtschafts- und Sozialpolitik.
  9. Völliger Bruch mit: einer von den Gewerkschaften verwalteten einheitlichen Sozialversicherung für alle Werktätigen.
  10. Völliger Bruch mit: dem sozialistischen, dem Menschen dienenden, fortschrittlichsten, nicht von der Pharmaindustrie kommerzialisierten Gesundheitswesen.
  11. Völliger Bruch mit: dem sozialistischen, die Ideen der progressiven Schulreformer weitgehend verwirklichenden kostenlosen Bildungssystem.
  12. Völliger Bruch mit: der nicht nur gesetzlich verankerten, sondern verwirklichten Gleichberechtigung der Geschlechter.
  13. Völliger Bruch mit: dem Recht jedes Kindes auf einen Kindergarten-Platz.
  14. Völliger Bruch mit: einer Friedenspolitik, die verkündete, dass von Deutschland kein Krieg mehr ausgehen darf, und die bewirkte, dass, solange die DDR existierte, von deutschem Boden kein Krieg mehr ausging.
  15. Völliger Bruch mit: dem sozialistischen Internationalismus, mit der tätigen Solidarität mit allen gegen den Imperialismus kämpfenden Völkern und Kräften.

Die Forderung, “völlig mit der SED-Vergangenheit zu brechen” verlangt von den älteren Genossinnen und Genossen, mit ihrer eigenen Vergangenheit, mit dem Teil ihres Lebens zu brechen, der für die meisten von ihnen der beste, erfüllteste Teil ihres Lebens war. Gabi Zimmer mag der “völlige Bruch” leicht gefallen sein; für wie viele Genossinnen und Genossen er – wie für mich – unzumutbar ist, wird sich zeigen.

Die Erklärung Gabi Zimmers, das neue Parteiprogramm werde sich “mehr denn je am Sozialismus orientieren”, hat deshalb nicht mehr Wert, als das Bekenntnis zum Sozialismus in Mai-Reden von SPD-Festrednern. Es sei denn, sie meint damit den “Sozialismus”, den Gregor Gysi sogar in der BRD und ihrem Grundgesetz entdeckt hat, als er in einem “Tagesspiegel”-Interview tatsächlich sagte: “Ich behaupte, in der Bundesrepublik gibt es einige sozialistische Elemente…Wenn es gelingt, den sozialistischen Gedanken des Artikel 14 des Grundgesetzes, wonach Eigentum verpflichtet, umzusetzen, werden auch soziale Interessen in den Vordergrund rücken.” (Tagesspiegel vom 26. Dezember 1999.) “Völliger Bruch” mit der DDR, aber Schönfärben der imperialistischen BRD – was hat das mit “Orientierung am Sozialismus” zu tun?

Mit der SED-Vergangenheit zu brechen, heißt, mit dem Besten der deutschen Geschichte, mit den größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung zu brechen. Einer Partei, deren Vorsitzende dies zum Ziel des neuen Parteiprogramms erklärt, kann ich nicht mehr länger angehören. Deshalb erkläre ich hiermit nach 68 Jahren Zugehörigkeit zum kommunistischen Flügel der Arbeiterbewegung in Deutschland meinen Austritt aus der PDS.

Die Beendigung meiner Mitgliedschaft in der PDS bedeutet aber keinen “völligen Bruch.” Meinen Genossen der Basisgruppe bleibe ich solidarisch verbunden, und ich werde die PDS als noch immer stärkste Kraft im linken Spektrum nach Kräften unterstützen, wo immer sie gegen die Politik der Herrschenden und Regierenden die Interessen der “kleinen Leute” der gesamten Bundesrepublik und der zu Bürgern zweiter Klasse degradierten DDR-Bürger vertritt und verteidigt.

Kurt Gossweiler, Berlin, den 25. Januar 2001