Die DDR – nur eine Fußnote der Geschichte ? (4. Mai 2004)

Kurt Gossweiler
DIE DDR – NUR EINE FUßNOTE DER GESCHICHTE ? (4. Mai 2004)
Gewidmet Renate Schönfeld zu ihrem 60. Geburtstag
(Veröffentl. In: Horst Jäkel (Hrsg.) DDR – unauslöschbar. GNN Verlag Schkeuditz, 2008, S.12-26)

Bald ist es zwanzig Jahre her, dass die imperialistische Bundesrepublik die sozialistische DDR einsacken konnte, vor allem deswegen, weil der damalige Chef der Schutzmacht der DDR, ein Herr Gorbatschow, mit dem damaligen Chef der BRD, einem Herrn Kohl, einen Deal abgeschlossen hatte:
Gegen eine Zahlung von 19 Milliarden D-Mark könnt ihr – Bündnisvertrag hin, Bündnisvertrag her -, die DDR kassieren.
Nach vollzogener Besetzung, genannt „Wiedervereinigung“, erklärte der Außenminister des Herrn Gorbatschow, der Herr Schewardnadse, – laut
„Neuem Deutschland“ vom 21. 11. 1991, – im damals noch sowjetischen Fernsehen zu Vorwürfen von Erich Honecker, er, Schewardnadse, sei der Hauptschuldige an der Annexion der DDR durch die BRD, „diese Vorwürfe gereichten ihm nur zur Ehre.“
Als schon offenbar war, dass Herr Gorbatschow seinem Freunde Kohl die verbündete DDR zum Fraße überlassen würde, wagte Stefan Heym – den manche irrigerweise noch immer für einen halten, der ein Freund der DDR war – zu prophezeien, von der DDR werde nicht mehr bleiben, als eine Fußnote in der Weltgeschichte.1
Allerdings: die siegreichen Einsacker der DDR haben einer solchen Prophezeiung offenbar nicht getraut – hätte es sonst der Justizminister der BRD Kinkel für nötig erachtet, seinen Richtern am 23. September 1991 auf dem 15. „Deutschen Richtertag“ mit Nachdruck die Aufgabe zu stellen, die DDR – in seiner Terminologie „das SED-Regime“ – „zu delegitimieren“?
Wodurch? Durch Gleichsetzung mit dem Hitlerfaschismus!
Kinkel: „Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das … seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat, während es … einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genau so unmenschlich und schrecklich war wie das faschistische Deutschland. … Politische Straftaten in der früheren DDR dürfen nicht verjähren.“2

Also: Delegitimierung durch Gleichsetzung der DDR und ihrer Vertreter mit dem faschistischen Deutschland.
Die bewusste Verlogenheit dieser Gleichsetzung ist allein schon daraus ersichtlich,
dass aus ihr keine Gleichbehandlung gefolgert wurde.
Denn wäre die erfolgt – Erich Honecker und die Angehörigen des DDR-Staatsapparates, der Justiz, der Armee, der Staatssicherheit usw. wären nicht verhaftet und verurteilt worden, sondern hätten, wie nach 1945 Globke, Gehlen usw., die Gelegenheit bekommen, ihre Erfahrungen in entsprechenden Ämtern der Bundesrepublik zur Verfügung zu stellen, oder ohne jegliche „Strafrenten“ in Pension zu gehen. So jedenfalls ging die Bundesrepublik mit den Größen des faschistischen Deutschland um. Und das war gar nicht anders zu erwarten, denn die waren vom gleichen imperialistischen Fleisch und Blut, denen im Ernst nur eines vorzuwerfen war: dass sie den Krieg zur Ausrottung des Bolschewismus und um die endgültige Weltdominanz des deutschen Imperialismus nicht gewonnen, sondern verloren hatten, nicht jedoch, dass sie dies unternommen und mit allen, auch den allergrausamsten und mörderischsten Mitteln zu erreichen gesucht hatten.
Was zählt denn das alles gegen das schlimmste und unverzeihlichste aller Verbrechen – den Angriff auf das kapitalistischen Privateigentum, die im kommunistischen Manifest von Marx und Engels geforderte Expropriation der Expropriateure!
Dieses, und nur dieses schlimmsten Verbrechens wegen muss die DDR delegitimiert, muss sie zum Unrechtsstaat gestempelt und müssen ihre Repräsentanten lebenslang verfolgt werden!

Bei genauem Hinsehen zeigt sich: die Kinkel´sche Gleichsetzung der DDR mit dem faschistischen Deutschland ist pure Heuchelei – der Faschismus war und ist auch heute noch für die Verteidiger der kapitalistischen Ordnung in Wahrheit kein Verbrechen, sondern die letzte Reserve in der Rüstkammer des Kapitals zu seiner Verteidigung gegen einen möglichen neuen Aufschwung sozialistischer Bestrebungen. Das wird jedesmal für jedermann und jede Frau offenkundig, wenn die Neonazis unter Polizeischutz durch die Straßen ziehen, und die antifaschistischen Gegendemonstranten verprügelt und verhaftet werden.
Das erklärt auch, weshalb entgegen dem Völkerrecht und entgegen den Bestimmungen des Grundgesetzes und trotz großen Druckes der Öffentlichkeit die Bundesregierung bisher kein Verbot faschistischer und neofaschistischer Organisationen erlassen hat und sich dreht und windet und mit faulen Ausreden die Unmöglichkeit oder die Unzweckmäßigkeit eines solchen Verbotes zu „beweisen“ sucht.

Die deutschen Monopolherren wußten schon in den Jahren der Weimarer Republik, dass die Hitler, Göring, Strasser usw. Verteidiger des kapitalistischen Privateigentums waren, und dass deren Propagierung eines „nationalen Sozialismus“ vor allem der Erfüllung eines Versprechens der Nazis an die Krupp, Thyssen, Duisberg und Siemens diente, des Versprechens nämlich, die Arbeiterwähler der Arbeiterparteien SPD und KPD nach rechts, ins „nationale“ Lager zu holen, ein Versprechen, für dessen Einlösung sie die Kassen der Nazis seit vielen Jahren mit Millionen-Spenden füllten. Als z. B. der geadelte Siemens-Chef Carl Friedrich von Siemens 1931 in die USA reiste, hat er seine amerikanischen Kollegen über die Nützlichkeit der Nazis aufgeklärt und Sympathie-Werbung für sie mit der Erklärung betrieben: „Hitler hat seine wirklichen Anhänger zu starker Disziplin erzogen, um revolutionäre Bewegungen des Kommunismus zu verhindern.“3
Selbst ein so eifriger Verteidiger der deutschen Monopolisten gegen die in den Nürnberger Prozessen nachgewiesene Tatsache, dass die deutschen Monopolherren nicht nur die Profiteure, sondern die Mit-Initiatoren der möderischen Raubzüge des deutschen Faschismus waren, wie der Professor Werner Plumpe, kommt nicht umhin, einzuräumen:
„Ein eigenständiges nationalsozialistisches Wirtschaftssystem, etwa im Sinne einer Planwirtschaft, Kommandowirtschaft, Befehlswirtschaft etc. existierte nicht. Der Nationalsozialismus respektierte grundsätzlich das Privateigentum und die Entscheidungsautonomie privater Unternehmer…“ 4
Warum also muss die DDR „delegitimiert“ werden, muß ihr das Existenzrecht abgesprochen werden?
Weil sie eben nicht das kapitalistische „Privateigentum und die Entscheidungsautonomie der Privatunternehmer“ respektierte“, sondern jahrzehntelang bewies, dass es auch ohne Kapitalisten geht, ja sogar besser geht, weil ohne Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit, und das sogar trotz der unaufhörlichen Störungspolitik der stärksten Wrtschaftsmacht Europas, der drittstärksten der kapitalistischen Welt, des Nachbarn der DDR Bundesrepublik Deutschland, die mit Embargo, Abwerbung von Arbeitskräften, angefangen von Ärzten und Facharbeitern bis zu Haushaltshilfen, Organisierung von Warenknappheit durch Masseneinkäufe von Westberlinern in Ostberlin, Korrumpierung von Teilen der DDR-Bevölkerung mit dem manipulierten Wechselkurs der BRD-Mark zur DDR-Mark und noch vielem Anderen, die DDR umzubringen suchte. Es war dieser kalte Krieg der BRD gegen die DDR, der sie zwang, sich dagegen die mit dem Bau der Mauer zu wehren.

Seit dem „Anschluß“, also seit 18 Jahren, werden nun die gewesenen DDR-Bürger Jahr für Jahr aus allen Medien-Rohren , die Jugendlichen in den Schulen und in den Hörsälen der Hochschulen, mit der Delegitimierungsmunition über den „Unrechts –und Stasi-Staat“ DDR zugedeckt
Und, wie sind die Ergebnisse?

Als erstes führe ich Ergebnisse aus einer Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg „zu Befindlichkeiten in Ostdeutschland“ aus dem Jahre 1996, also gute fünf Jahre nach dem „Anschluß“, an.
In Punkt „Erstens“ heißt es:
„Die Mehrheit der Ostdeutschen hat Ängste und Befürchtungen vor dem weiteren Sozialabbau, macht sich ernsthaft Sorgen um die Entwicklung ihrer sozialen Lage und die Arbeitsmarktsituation. …
Von den Erwerbstätigen waren 75 Prozent vor 1989 mit der sozialen Sicherheit und 31 Prozent mit ihrer Arbeitssituation zufriedener, während von den Arbeitslosen 82 Prozent mit der sozialen Situation und 81 Prozent mit der Arbeitssituation zufriedener waren.“

Unter Punkt „Drittens“ ist zu lesen: „Ein Abbau der Arbeitslosigkeit wird mehrheitlich für unreal gehalten, es wird von einem Anstieg ausgegangen.“

„Viertens“: „In zunehmendem Maße wird Arbeitslosigkeit als systemimmanent für die Marktwirtschaft aufgefasst und nicht mehr vorrangig der wirtschaftlichen Situation in der DDR angelastet.
Immer weniger sind die Bürger bereit, heutige soziale Mißstände als Ergebnisse der Vergangenheit zu bewerten oder entsprechende Argumentation unbesehen und unkritisch zu übernehmen.“

„Siebentes“: „Die Vorstellungen vieler Bürger, unter den neuen Verhältnissen eine wirkungsvolle betriebliche Mitwirkung zu erreichen, sind im Schwinden.
Die bekannte Aussage des BRD-DDR-Vergleichs, dass man bis 1989 im Betrieb alles sagen konnte, aber nicht in der Kneipe, und dass heute in der Kneipe alles gesagt werden kann, aber nicht im Betrieb, ist inzwischen von einer wachsenden Zahl von Bürgern erlebte Tatsache.“5

So also die „Befindlichkeit“ der DDR-Bürger nach fünf Jahren Erfahrungen mit dem realen Kapitalismus der BRD – eine „Fünf, Ungenügend!“ für alle „Delegitimierer“, angefangen von ganz oben, bei der Regierung und ihren speziellen Einrichtungen, wie Gauck-Behörde, bis ganz nach unten, zur Blöd-Zeitung.

Was also tun?
Ja was schon! Natürlich nur eines: Die DDR noch schwärzer malen, noch dicker die „unmenschliche, verbrecherische Diktatur“, die „flächendeckende Bespitzelung der gesamten Bevölkerung bei Tag und Nacht“, die „sadistische Grausamkeit des Stasi-Regimes“ tagtäglich in Wort, Bild und Ton, allen Bürgern vor Augen führen, in die Ohren dröhnen und in die Hirne hämmern und dafür Spezialisten engagieren, wie den Hubertus Knabe,6 und „Stasi-Gefängnisse“ mit (nachträglich eingebauten) Folterzellen zu „Gedenkstätten“ ausbauen, die zu besuchen den Schulen zur Pflicht gemacht wird und über die alle Zeitungen zu berichten haben und auch gerne berichten, das „Neue (gewendete) Deutschland“ eingeschlossen, (siehe den Artikel „Inhaftiert“ – Fotos und Berichte aus dem Stasi-Knast von Martin Hatzius im ND v. 22. 4. 08). Und natürlich auch das wichtigste Medium, mit dem man die Emotionen der Menschen am stärksten erregen kann – den Film nicht zu vergessen: am Besten, wenn man zum Mitmachen bei der DDR-Verleumdung einen Schauspieler gewinnen kann, der den DDR-Bürgern noch in guter Erinnerung ist, wie Ulrich Mühe für das Donnersmarck-Machwerk „Das Leben der Anderen“. (Solcherlei charakterlose Käuflichkeit wurde gebührend – mit einem Oscar! – belohnt.) Ein einzelner „Stasi“-Film reicht aber nicht aus – es war dies nur der Anfang, dem schon zwei weitere gefolgt sind, und an noch weiteren dürfte wohl schon gearbeitet werden. Vielleicht erleben wir noch eine neue Krimi-Reihe – “Tatort Stasi!“

Und wieder die Frage: Was hat sie gebracht, die neue Delegitimierungs-Welle – ach was, nicht Welle, sondern Delegitimierungs-Hochflut!?

Zu urteilen nach den lauten Klagen in Presse, Funk und Fernsehen über die Ergebnisse von Meinungsumfragen bei Schülern in Ostdeutschland sind diese für die Delegitimierer tief enttäuschend.
Die DKP-Zeitung „Unsere Zeit“ („U Z“) schreibt in ihrer Ausgabe vom 4. Januar 2008:
„Mitten hinein in die nachweihnachtliche Friede- Freude und Gänsebratenstimmung titelten Tageszeitungen: ‚DDR-Bild märkischer Schüler erschreckt Forscher.‘ “

Da hatten Forscher der Berliner „Freien Universität“ unter dem „Teamleiter“ Klaus Schroeder eine Umfrage unter 750 Brandenburger Zehnt- und Elfklässlern veranstaltet, also unter Jugendlichen, welche die DDR nicht mehr aus eigenem Erleben, sondern zum einen aus den Gesprächen mit ihren Eltern und den Erwachsenen ihrer Umgebung kannten, die aber auch ihr ganzes Schülerdasein lang tagtäglich in der Schule, in Schulbüchern, Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen und in Filmen zu lesen, zu hören und zu sehen bekamen, dass ihre Eltern und alle DDR-Bürger in einem schrecklichen Unrechtsstaat leben mussten, von dem sie 1990 endlich durch die Wiedervereinigung befreit worden seien.
Was hat nun die FU-Forscher so erschreckt?
Die U Z beschreibt es so: „ Für Teamleiter Klaus Schroeder … waren vorangehende, im November (2007, K.G.) vorliegende Forschungsergebnisse zum DDR-Bild von 5000 Schülern in Bayern…, Nordrhein-Westfalen und in Berlin schon entsetzlich genug. Dass es aber nun im Märkischen noch dicker kommen könnte … Da meinten doch fast 70 Prozent, dass die Bundesrepublik vor 1989 nicht besser als die DDR war, oder sie wollten sich da nicht so festlegen. 71,8 Prozent fanden
‚es gut, dass in der DDR jeder einen Arbeitsplatz hatte, auch wenn der Staat die Löhne bestimmte und der Wohlstand gering war.‘ Damit … nicht genug, denn immerhin noch jeder fünfte Befragte glaubte, dass die doch so ‚bankrotte‘ DDR-Wirtschaft besser als die der BRD war.“
Die U Z schreibt weiter: „Und da, wo sich die FU-Forscher nur wirklich kollektiven Widerspruch versprachen, kam er gleich gar nicht. Denn die Hälfte der Schüler fand nichts an dem Satz auszusetzen: ‚Die DDR war keine Diktatur‘.“

Und das alles nach zehn und elf Jahren Volltags-Delegitimierung in und außerhalb der Schule!

Im gleichen Artikel der U Z geht die Verfasserin Maxi Warthelsteiner noch auf eine andere Studie ein, „eine Sächsische Langzeitstudie, die übrigens eine weltweit einzigartige sozialwissenschaftliche Langzeitforschung ist. Mit ihr begleitet der längst verrentete Leipziger Jugendforscher Prof. Peter Förster seit 1987, d.h. seit nunmehr 20 Jahren, eine personell gleich gebliebene, hinreichend große Population junger Ostdeutscher auf ihrem Weg vom real existierenden Sozialismus in den real existierenden Kapitalismus der Bundesrepublik Deutschland. Heute leben diese jungen Leute sowohl im Osten als auch im Westen. Die 1987 per Zufallsauswahl zustande gekommene Population ist repräsentativ für die 1973 in der DDR geborenen, inzwischen 34-Jährigen.
Im Juli 2007 wurden die Panelmitglieder (die Mitglieder der Befragungsgruppe, K.G.) am Ende des Fragebogens gebeten: ‚Bitte stellen Sie sich vor, Sie könnten in einer Diskussion mit hochrangigen Politikern ganz offen Fragen zur gegenwärtigen Situation in Ostdeutschland stellen. Wie würden Ihre Fragen lauten? Bitte Klartext formulieren!‘“

Die weitaus meisten der vielen hundert Fragen der Teilnehmer betrafen vor allem drei Komplexe:
„ – die ausgebliebene Ost-West-Angleichung, vor allem zu spüren im ungleichen
Lohn für gleiche Arbeit,
– die Unmöglichkeit, ein menschenwürdiges Leben mit ALG II zu führen,
– das Unverständnis, warum das Gute der DDR, vor allem die Kinderbetreuung in den Vorschuleinrichtungen und die solide 10-klassige Schulbildung, nicht vom Westen übernommen wurde. …
Die meisten der von Prof. Förster Befragten wollen den gegenwärtigen Kapitalismus wieder loswerden. Wobei sich im November 1989, zu Beginn der Studie, 87,2 Prozent der befragten Schüler, Lehrlinge und Studenten ohnehin für einen besseren Sozialismus und nur 3,4 Prozent für einen kapitalistischen Weg entschieden hatten.“

Von den vielen Fragen, welche die Teilnehmer zu Papier gebracht haben, wurden die folgenden dem Artikel beigefügt:

Solche Umfrageergebnisse und dazu noch das Anwachsen der Linkspartei zur drittstärksten Partei nicht nur im Osten, sondern auch in Landtagen der Alt-Bundesländer, vor allem aber die wachsende Entschlossenheit der Arbeiter, Angestellten und Beamten, mit Streiks von lange nicht gekannter Hartnäckigkeit und Dauer löst bei den Herrschenden beträchtliche Unruhe aus und lässt sie darüber nachdenken, wie dieser Entwicklung entgegenzusteuern wäre.
Dabei fällt ihnen aber nicht mehr ein, als das uralte Bismarck-Rezept:
zur Beschwichtigung des Pöbels ein paar Krümel „Soziales“,
zu ihrer Niederhaltung aber das Sozialistengesetz und die Verteufelung der Sozialisten und Kommunisten..
Noch am 12. Dezember 2004 hatte der ehemalige Präsident des sogenannten „Arbeitgeber“verbandes Rogowski triumphierend hinausposaunt:
„ Am 9. November 1989 haben wir mit der Maueröffnung auch die Abrissbirne gegen den Sozialstaat in Stellung gebracht. Hartz V bis VIII werden demnächst folgen. Es ist ein Klassenkampf, und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch wahrzunehmen ist.“7
Aber 2007/08 ist nicht mehr 2004. „Der Gegner auf der anderen Seite“ ist nicht nur wieder wahrzunehmen, er leistet wachsenden Widerstand. Auf einmal entdecken die schwarzen, rosaroten, grünen und sogar die gelben Erfinder der „Reformen“ zum Sozial-und Demokratie-Abbau, dass Löhne und Renten, deren Abbau sie jahrelang durch ihre Umverteilungspolitik zur noch größeren Bereicherung der Millionäre und Milliardäre betrieben haben, wohl doch nicht noch weiter gedrückt werden können, ja sogar etwas – je nach Stärke des Druckes von unten – angehoben werden sollten – z. B. die Renten nicht nur um 0,56 Prozent, sondern um ganze 1,1 Prozent (!) – allerdings bei gleichzeitiger Erhöhung des Beitragssatzes zur Krankenkasse und Pflegeversicherung!
Dies die Krümelelchen „Soziales.“

Die andere Seite ist die Verstärkung der Kampagnen gegen den „Unrechtstaat“ DDR und die „Stasi“, die Staatssicherheitsorgane der Deutschen Demokratischen Republik, – und das zur gleichen Zeit, da Innen- Minister Schäuble dabei ist, gegen alle Widerstände die flächendeckende Bespitzelung der Bürger bis in die Wohnung hinein, also die Herstellung des „gläsernen Bürgers“, durchzusetzen.
Vereine aber, die, wie die GBM und die GRH, (Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde, Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung), sich die Aufgabe stellen, den Bürgern Schutz zu gewähren gegen die Verletzung ihrer im Grundgesetz verankerten Bürgerrechte, werden in der Öffentlichkeit als „Stasi-Vereine“ bezeichnet und unter die ständige Beobachtung des „Verfassungsschutzes“ gestellt.
Welches Klima der Einschüchterung vorsätzlich gerade in letzter Zeit erzeugt wird, dafür steht als krasses Beispiel der „Fall“ Christel Wegner, die als KPD-Mitglied auf der Liste der Linkspartei in den Niedersächsischen Landtag gewählt wurde und sich kurz danach einer wütenden Medienhetze ausgesetzt sah, weil sie in einem Interview des Fernsehmagazins „Panorama“ die Selbstverständlichkeit ausgesprochen hatte, dass sich jeder Staat zu seinem Schutz ein Sicherheitsorgan zulegt.

Aber das hat bisher nicht die gewünschte Wirkung gehabt und wird sie in Zukunft erst recht nicht haben – einfach deshalb, weil der reale Kapitalismus, befreit von der verhassten Nachbarschaft des realen Sozialismus, in seiner unersättliche Gier nach Maximalprofit keine Hemmungen kennt, die Lebenshaltung der „Unter- und Mittelschichten“, also der Lohnabhängigen und der kleinen und mittleren
Selbständigen, durch Lohnsenkungen, Preissteigerungen, Steuererhöhungen und Erfindung von immer neuen Abgaben, wie Ärzte-Gebühr, immer weiter zu verschlechtern.
Schon heute halten Schüler von heute uns ehemalige DDR-Bürger für Märchenerzähler, wenn wir ihnen über alltägliche Selbstverständlichkeiten aus dem DDR-Alltag berichten:
In der DDR gab es ein Recht auf Arbeit und keine Arbeitslosigkeit.
In der DDR hatte jeder Jugendliche eine kostenlose Schulbildung.
In der DDR war das Hochschul-Studium kostenlos und die meisten Studenten erhielten Stipendien, die nicht zurückgezahlt werden mussten.
In der DDR erhielt jeder Jugendliche nach Schulabschluß eine Lehrstelle.
In der DDR gab es nur eine Krankenkasse für alle; deshalb waren die Krankenkassenbeiträge niedrig.
In der DDR zahlten die Krankenkassen jede Arztbehandlung und jeden Krankenhausaufenthalt und alle vom Arzt verordneten Medikamente.
In der DDR lag die Sozialversicherung in den Händen der Gewerkschaften
In der DDR wurden die Löhne und die Arbeitsbedingungen im Rahmen des Arbeitsgesetzbuches durch die Betriebsleitungen und die Gewerkschaften gemeinsam festgelegt, d.h., die Arbeiter haben über ihre Gewerkschaft dabei mitentschieden.
In der DDR war gesetzlich festgelegt: Ob Mann oder Frau – gleicher Lohn für gleiche Arbeit!
In der DDR lag der Wohnungsbau in den Händen des Staates, der Kommunen oder der Betriebe und Genossenschaften. Er diente nicht der Profiterwirtschaftung, sondern der Schaffung von Wohnraum für die Bevölkerung.
In der DDR lagen deshalb die Mietkosten weit unter denen in der BRD.
In der DDR gab es keine Obdachlosen.
In der DDR gab es auch eine Armee, die Nationale Volksarmee. Aber die war nur zur Verteidigung gegen Angriffe da, nicht dazu, Angriffskriege zu führen, wie die Bundeswehr, die Angriffskriege geführt hat in Jugoslawien, in Afghanistan und dort noch immer Krieg führt.
Die NVA dagegen hat niemals Krieg geführt; denn die DDR-Regierung hielt sich an das von ihr geprägte Wort: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!

Dies alles, was in den Ohren von BRD-Bürgern wie eine Liste von unerfüllbaren Wünschen klingt, das war für „gelernte DDR-Bürger“ so selbstverständlich, dass sie es gar nicht richtig zu schätzen wussten und mehrheitlich meinten, das könnten sie selbstverständlich in die „Vereinigung“ mitnehmen.
Je länger und für immer mehr das alles gegen ein Leben als „Hartzi“ und „Ein-Euro Jobber“, als Arbeitsloser oder vergeblicher Lehrstellenbewerber eingetauscht wurde, desto mehr wächst die Zahl derer, denen bewußt wird, dass sie einen ganz miserablen Tausch gemacht haben, und umso mehr spricht sich auch bei den „Wessis“, – vor allem bei denen, die sich in gleicher Situation befinden – herum, dass das offizielle und aus allen Kanälen verbreitete DDR-Bild ein bösartiges, verlogenes Zerrbild ist.

Die DDR war im Vergleich mit der Bundesrepublik ein armes Land, aber im Umgang der Menschen miteinander an menschlicher Nähe und Wärme um vieles reicher.
Ich habe zu DDR-Zeiten immer wieder erlebt, dass ältere DDR-Bürger und Bürgerinnen, die von ihrem „Privileg“ Gebrauch gemacht hatten, in den „Westen“ zu Verwandten reisen zu dürfen, nach ihrer Rückkehr lang und ausführlich davon schwärmten, was es dort alles in den Geschäften zu kaufen gäbe, und wie billig dort Obst und Gemüse sei, und wie schick ihre Verwandten gekleidet und wie schmuck die Häuser verputzt seien; wenn ich sie dann aber fragte, ob sie denn für dauernd drüben lebten wollten, dann kam übereinstimmend fast immer die gleiche verneinende Antwort, und auf die Frage: Ja, warum denn nicht? die gleiche Antwort: „Ja, so schön das alles auch ist – aber irgendwie ist das Klima zwischen den Menschen dort kälter. Als ich auf der Rückfahrt über die Grenze fuhr und wieder in der DDR war – da habe ich richtig froh aufgeatmet: Jetzt bin ich wieder richtig zu Hause!“

Später, als ich selber von Archivreisen aus Westdeutschland, oder noch später selbst als Rentner aus dem Westen zurückkam und die Grenze zwischen Helmstedt und Marienborn überquerte, ging es mir immer genau so, wie mir früher die Rentner ihr Glücksgefühl geschildert hatten: So, jetzt bin ich wieder daheim, in meinem Land!

Den Unterschied des alltäglichen Lebens in einer armen, aber sozialistischen Gesellschaft wie der DDR und in einer reichen, aber kapitalistischen Gesellschaft, wie der BRD haben wir nun alle schon ausgiebig erleben und studieren können.
Die DDR war nicht – und konnte das bei dieser feindlichen Nachbarschaft auch gar nicht sein – das Idealbild eines sozialistischen Staates. Und was die meisten überhaupt nicht in Betracht ziehen: ihre Lebenslinie war nicht stetig ansteigend, sondern bildete eine bis etwa 1970 aufsteigende, dann aber wieder absteigende Kurve.
Und der Abstieg hat vor allem mit den Veränderungen im Kurs der Führung der Sowjetunion zu tun, die zwar durch Gorbatschow besonders radikal durchgesetzt wurden, aber deren Anfang schon mit dem XX. Parteitag der KPdSU gemacht wurde.
Über die Fehler und Mängel in der DDR ist schon viel – und vielfach gewaltig übertrieben – geschrieben worden, und über die Ursachen ihres Unterganges – der aber ein kollektiver Untergang war, also keineswegs mit eigenen Fehlern ausreichend erklärt werden kann!, (was aber merkwürdigerweise selbst in einigen Artikeln von Autoren, die Kommunisten geblieben sind, vergessen zu sein scheint),- wird noch viel zu erforschen sein.
Mit der folgenden Gegenüberstellung von Alltag in der DDR und in der BRD soll also keineswegs eine Idealisierung der DDR vorgenommen, wohl aber die menschlichere Qualität der sozialistischen gegenüber einer der reichsten kapitalistischen Gesellschaften, der BRD, verdeutlicht werden.

Vor drei Jahren sind wir innerhalb unseres Wohnortes umgezogen, in ein Haus mit 9 Parteien, in einen Wohnblock mit zusammen 20 Parteien. Von den anderen Mietern haben wir in diesen drei Jahren nur vier, nämlich die direkt neben und über uns wohnenden, persönlich kennengelernt und zu ihnen ein Verhältnis gewonnen, das sich dem annähert, was in DDR-Zeiten ein normales Nachbarschaftsverhältnis war.
Einen Fünften Mitbewohner im gleichen Hausaufgang haben wir nur deshalb kennengelernt, weil er häufig Sendungen bekommt, deren Empfang quittiert werden muss, er aber selten zu Hause ist, und der Postbote dann uns – die Parterrebewohner – bittet, die Sendung entgegenzunehmen und den Empfang zu bestätigen.
Von den anderen Hausbewohnern kennen wir die zwar die Namen, aber die nur von den Briefkästen, wer jedoch von den Bewohnern, denen ich auf dem Grundstück begegne, zu diesen Namen gehört, weiß ich bis heute nicht. Von den Mietern der andere Hausaufgänge wissen wir nicht einmal die Namen, und wenn ich ihnen nicht auf dem Grundstück, sondern auf der Straße begegnen würde, – ich wüßte gar nicht, dass dies Nachbarn von uns sind, so fremd sind sie uns die ganze Zeit über geblieben.

So viel Fremdheit trotz jahrelangem Nebeneinanderwohnen ist in der DDR ganz unmöglich gewesen. Das „System“ war eben so, dass ein Nebeneinander normalerweise gewissermaßen ganz von selbst zu einem Miteinander wurde.
Das ergab sich schon daraus, dass die Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) für die Hausreinigung keine Firma beauftragte, sondern die Mieter selbst dafür verantwortlich waren und die Arbeit so unter sich aufteilten., dass jeder einmal an der Reihe war. Das machte schon notwendig, sich zur Verständigung darüber miteinander in Verbindung zu setzen.
Wir wohnten ab 1950 über 50 Jahre lang im gleichen Wohnblock, in dem es 24 Wohnungen in 5 Aufgängen gab. Auf dem Grundstück dieses Wohnblockes gab
es auch eine große Grünfläche mit Rasen und Blumen, und Sträuchern als Begrenzung.
Die Pflege von Rasen, Blumen und Sträuchern wurde von der KWV ebenfalls den Mietern übertragen, wofür wir ebenso wie für die Hausreinigung eine Geld-Entschädigung bekamen. Das alles machte es notwendig, dass wir Mieter uns über die Verteilung der Arbeiten wie auch über die Verteilung der von der KWV zugeteilten Geldbeträge verständigten. Alle Mieter waren auf diese Weise keine isolierten Mietparteien, sondern Teile einer Arbeits- und Interessengemeinschaft, was ganz von selbst dazu führte, dass sich alle Mieter – die einen mehr, die anderen weniger, aber alle doch auch so empfanden, eben als Teil einer Gemeinschaft.

Im Sommer 1953 bekam diese Gemeinschaft einen organisatorischen Rahmen. Auf Anregung der Regierung wurden in vielen Häusern und Wohnblocks in der ganzen DDR Hausgemeinschaften gegründet, so auch bei uns. Die 26 Parteien bildeten jetzt eine Hausgemeinschaft, mit einem Vorsitzenden, einem Stellvertreter und einem Kassierer, alle in einer Vollversammlung von allen Mietern gewählt. Zugleich dehnten wir unseren Aktionsbereich aus. Zu den bisherigen Arbeiten kamen auch noch Reparaturarbeiten hinzu, z. B. an den Ziegelsteintreppen und an dem löchrig gewordenen Weg zu den Hauseingängen.
Die Gartenarbeiten wurden zu gemeinsamem Arbeitseinsatz auf je einen Tag im Frühjahr und im Herbst gelegt und ihr Abschluß mit einem gemeinsamen Zusammensein am Abend bei fröhlichem Essen und Trinken gefeiert. Die Kosten wurden aus der Hausgemeinschaftskasse getragen. Sie wurde nicht mehr nur aus den Zahlungen der KWV gefüllt, sondern zusätzlich durch die Sammlung und Ablieferung von „Sekundärrohstoffen“, Altpapier und Flaschen, bei der örtlichen Sammelstelle, wofür beträchtliche Summen bezahlt wurden. Wir haben extra einen Kellerraum als Abstellraum für die gesammelten Flaschen und Zeitungen abgezweigt.
Von 1953 an gab es im Dezember immer eine Jahresabschluß-Veranstaltung, die zum einen eine Vollversammlung der Hausgemeinschaft war mit Rechenschaftsbericht, Entlastung des Vorstandes, Wahl des neuen – fast immer des alten, bewährten – Vorstandes, und Verteilung der Jahreseinnahmen an die Mietparteien entsprechend ihrem Anteil an den im Verlauf des Jahres angefallenen Arbeiten. Dabei konnten in jedem Jahr jeder Familie aus den Zahlungen der KWV und dem Erlös der Sekundärrohstoff-Sammlungen Einhundert Mark ausbezahlt werden. Im Anschluß daran blieben wir zu einer Jahresabschluss – oder Weihnachtsfeier zusammen, die den persönliche Kontakt und das gegenseitige Kennenlernen und das Zusammenwachsen zu einer Gemeinschaft förderte.
Wenn einmal – was selten vorkam – ein Mieter aus- und dafür ein neuer Mieter einzog, dann dauerte es nicht lange, bis er Kontakt zu den anderen hatte und in die Hausgemeinschaft voll einbezogen war.

Mit dem „Anschluß“ war mit alledem radikal Schluß. An die Stelle der Kommunalen Wohnungsverwaltung trat eine private Wohnungsgesellschaft, die sogleich mitteilen ließ, dass mit der Hausreinigung und Grundstückspflege ab sofort Firmen beauftragt seien, und damit die Zahlungen an die Mieter entfielen. Dafür mussten wir nun mit einem ohnehin beträchtlich erhöhten Mietbetrag auch noch die Kosten für die beauftragten Firmen übernehmen. Für die Hausgemeinschaft gab es keine Aufgaben und somit auch keine Existenzgrundlage mehr.
Sehr schnell reduzierten sich die Kontakte der Mieter zu den Mitbewohnern radikal und beschränkten sich bald fast nur noch auf das freundliche Grüßen. Die Umstellung auf die neuen Lebensbedingungen führten schnell dazu, dass jeder so viel mit sich selbst zu tun hatte, dass für Kommunikationen mit den Nachbarn bald Zeit, Kraft und auch das Bedürfnis schwanden. Das galt vor allem für jene, die ihre Arbeit verloren und jetzt voll damit zu tun hatten, sich um eine neue Arbeit zu bemühen.
Die Glücklichen aber, die ihren Arbeitsplatz behielten, kamen, je länger, desto mehr, müde und total abgespannt nach Hause und verspürten , nachdem sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatten, nur noch das Bedürfnis, in Ruhe gelassen zu werden.
Dazu kam natürlich auch, dass politisch unterschiedliche Ansichten, die es vorher ja auch gegeben hatte, die aber in unserem Sprengel nie zu persönlichen Gegensätzen geführt hatten, nun doch auch hier und da zu Abgrenzungen im Umgang miteinander führten.
Dazu kam noch, dass nun die über lange Jahre hinweg gleichgebliene Mieter-gemeinschaft Auflösungserscheinungen zu einem partiell raschen Mieterwechsel zeigte, als Folge der Mieterhöhungen, die nicht von allen getragen werden konnten.
Und die neuen Mieter blieben nun lange ohne Kontakt zu den für sie neuen Mitbewohnern, ganz so, wie es uns nach unserem Umzug in unsere Parterrewohnung ging, wie eingangs geschildert.

Die neue „Freiheit“, die nun über uns gekommen war, erwies sich so ganz schnell als eine Kraft, welche die gewohnte menschenfreundliche und produktive Kollektivität zerstörte und die Vereinzelung und Isolierung der Menschen voneinander bewirkte.

Wir sind inzwischen nun auch Teil jener BRD-Gesellschaft geworden, von der damals unsere vom Westbesuch zurückkehrenden Rentner sagten, so reich diese Gesellschaft auch sei – (oder zumindest in den Schaufenstern erscheint), – dort leben möchten sie nicht – das menschliche Klima sei zu kalt.

Die neuen Herren wollen aber, dass wir Ossis diese neue Ordnung lieben und unsere alte Ordnung so sehen, wie sie sie uns darstellen- als verachtens- und hassenswert.
Deshalb schmeicheln sie manchmal der einen und anderen bei den DDR-Bürgern angesehenen und beliebten Persönlichkeit, um über sie auch die Sympathie all derer zu gewinnen, die noch immer an ihrer Ossi-Identität festhalten.
So kam Brandenburgs Ministerpräsident Platzek auf die Idee, den Schöpfer des Eulenspiegel-Schülers Ottokar Domma, den Pädagogen und Schriftsteller Otto Häuser, mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen, was am 2. August 2006 denn auch geschah. Die Dankesrede, die der so Geehrte hielt, dürfte Herrn Platzek aber kaum gefallen haben. Umso mehr hat sie mir gefallen und dürfte sie auch allen Freunden von „Ottokar“ gefallen, weshalb ich sie hier wiedergeben möchte – sie ist zu schön, um nur für einen Tag in der Zeitung zu stehen. Hier nun also „Ottokars“ Dankesrede:

„Sehr geehrter Herr Platzek, meine Damen und Herren!
Ja, ich war schon sehr verwundert und überrascht, als ich am Ende meines schriftstellerischen Lebens und vielleicht auch meines irdischen Daseins gefragt wurde, ob ich diese Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland annehmen würde.
Verwundert deshalb, weil mein schriftstellerisches und berufliches Werden und Wirken unmittelbar mit dem Volksbildungsystem der DDR verbunden waren.
Der ‚brave Schüler Ottokar‘ wäre ohne das Volksbildungssystem der DDR undenkbar gewesen. Und ich war auch überrascht, weil ich als Ottokar Domma und Otto Häuser, nicht nur satirischer Kritiker und Begleiter dieses Bildungssystems war, sondern auch – und ich sage das ganz bewusst – ihr Protagonist, so als Journalist im Neuen Deutschland an verantwortlicher Stelle.
Es ist oftmals so, dass sich die Vor- und Nachteile eines Bildungssystems erst nach einem größeren zeitlichen Abstand offenbaren. Das Bildungssystem der DDR zeichnete sich – und das ist unstrittig – wohl durch ein deutliches Mehr an Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit aus. Ich weiß nicht, ob alle meine kleinen Helden, insbesondere diejenigen, die aus Bauern- oder Arbeiterfamilien kommen, wie z. B. ‚Schweinesigi‘, im heutigen Schulsystem die gleichen Chancen auf einen höheren Schulabschluß hätten. Aus diesem Grunde betrachte ich diese Auszeichnung auch als Anerkennung für die schwierige und mitunter nervenaufreibende Arbeit Tausender Lehrer und Pädagogen, die sie zu DDR-Zeiten und auch nach der Wende an den Schulen geleistet haben und auch heute noch leisten.
Oftmals werde ich gefragt, was ich denn von dem jetzigen Schul- und Bildungssystem halte? Hier kann ich nur auf mein doch schon betagtes Alter verweisen und einen persönlichen Eindruck darstellen: Ich glaube, das heutige Bildungssystem bedarf einer Kompanie von Satirikern, um all die Widersprüche, Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten aufzuspießen. Doch dieses Feld müssen jetzt andere, jüngere Kräfte beackern.
In dieser Stunde denke ich in Dankbarkeit auch an meine Schriftstellerkollegen aus dem Schriftstellerverband in der DDR und insbesondere an das Satirikerkollegium des Eulenspiegelverlages. Mir fallen viele ein, die durch ihr Schaffen tiefe Spuren in den Köpfen der Ostdeutschen hinterlassen haben. Die eine Literatur schufen, die von Humanismus, Gerechtigkeit und intellektueller Tiefe geprägt war, und die wohl noch viel eher eine solche Würdigung für ihr Gesamtschaffen verdient hätten..
Leben und Wirken eines Menschen – vor allen Dingen das meinige – lässt sich nicht teilen in Seiten, die einem genehm und nicht genehm sind, deshalb werte ich diese Auszeichnung als Anerkennung für mein gesamtes Schaffen, beginnend als Neulehrer, weiterführend dann als Journalist und Schriftstelle sowohl in der DDR als auch in der BRD.“8

Auch Otto Häuser teilt offenbar nicht die Ansicht Stefan Heyms, dass von der DDR lediglich einer Fußnote der Geschichte bleiben werde.

Nein, sie war und wird in die Geschichte eingehen als das
Kapitel I der Geschichte des Sozialismus auf deutschem Boden!

Das Schlußwort dieses Artikels gebe ich an den westdeutschen Kommunisten und engen Freund von Peter Hacks, André Müller, der am 28. September 1990 in der U Z
zum bevorstehenden Ende der DDR unter der Überschrift: „Die DDR ist unsterblich“ schrieb:
„Eine Deutsche Demokratische Republik wird wiederkommen. … Schaut Euch selber um. Hebt den gesenkten Kopf wieder! Seht, wie das Kapital sich aufführt, jeder Rücksichtnahme ledig, wie ihre gepriesene Demokratie aussieht. … Nein, die Idee der DDR wird sich nicht begraben lassen, und wenn ich auch nicht weiß, wie alles weitergehen wird, … so weiß ich doch, daß es an diesem 3. Oktober 1990 keinen Grund für uns alle gibt, sich nicht wieder aufzurichten!“9

Veröffentlicht in: DDR – unauslöschbar. Hgg. v. Horst Jäkel im Auftrag der Unabhängigen Autorengemeinschaft „Als Zeitzeuge erlebt“, GNN Verlag 2008,
S. 12-26.

Anmerkungen:

1 „Junge Welt“ Nr.232 v. 7. Oktober 3004, S.3.
2 Ebenda, gl. S. unten.
3 Otto Köhler, BAYERS Vergangenheitspolitik, In: Stichwort BAYER, Nr. 1/2008, Stichwort BAYER Dossier, S. 8.
4 Werner Plumpe, Werner Abelhauser: Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, 2003, zitiert in: Köhler, BAYERS Vergangenheitspolitik, a.a.O., S.8

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5 Neues Deutschland v. 5. Juli 1996, S. 9, Auszug aus: Sozialreport II/1996 (Quartalsschrift zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern). Herausgegeben vom Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V.
6 Horst Schneider, Das Gruselkabinett des Dr. Hubertus Knabe(lari), Spotless Verlag Berlin 2005.
7 „Unsere Zeit“ (U Z) vom 28. September 2007, Artikel „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“
8 In: U Z v. 4. 8. 06: Ottokar dankt … verwundert und überrascht für das Bundesverdienstkreuz
9 Zitiert in: Kurt Gossweiler, Wider den Revisionismus. Aufsätze, Vorträge, Briefe aus sechs Jahrzehnten, 2. Aufl., Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung – Stefan Eggerdinger Verlag, München 2004, S. 398.