Bemerkungen zur Diskussion über die politische Ökonomie des Sozialismus – insbesondere zu den Beiträgen von Hermann Jacobs (November/Dezember 2004)

Kurt Gossweiler

BEMERKUNGEN ZUR DISKUSSION ÜBER
DIE POLITISCHE ÖKONOMIE DES SOZIALISMUS –
INSBESONDERE ZU DEN BEITRÄGEN VON HERMANN JACOBS

Lieber Frank*,

bei der Durchsicht des Heftes stolperte ich über die beiden Artikel der Rubrik “Politische Ökonomie des Sozialismus” und bekam ein schlechtes Gewissen darüber, dass ich diese Rubrik bislang so wenig beachtet habe. Das lag vor allem daran, dass ich mehrfach Artikel von Hermann Jacobs in offensiv angefangen, zum Teil mich sogar durch alle Seiten hindurch gequält habe, aber immer zu dem Ergebnis kam, dass man nichts versäumt, wenn man sich diese Tortur nicht antut. Ob ich damit richtig lag – darüber geriet ich Anfang des Jahres ernsthaft in Zweifel, als mir Gerald Hoffman versicherte, Hermann Jacobs habe in seinem Artikel “Die ökonomischen Formen des Revisionismus” in der Jubiläumsausgabe 15/03 eine treffende Analyse der Wurzeln des Revisionismus geliefert. Also holte ich nach, was ich versäumt hatte, und las der Reihe nach: zuerst Ingeborg Böttchers “Hallo Andrea und Gerald…”, (H.4/04), als zweites Andrea Schöns und Gerald Hoffmanns “Die Crux mit dem Wertgesetz..” (H.13/03), und dann in dieser Reihenfolge die Artikel von Hermann Jacobs: Ökonomische Form des Revisionismus” im Jubiläumsheft 15/03 und seinen letzten Artikel: “ ‚Die Crux mit dem Wertgesetz‘ – Zu den bisher erschienen Positionen”( Heft 4/04).

Das alles war sehr Kraft und Zeit kostend. Und mich hat dann sehr die Frage beschäftigt, welchen Nutzen diese Diskussion den Lesern bisher gebracht hat. Dazu möchte ich euch etwas aus meiner Sicht mitteilen.

I. Kurze Bemerkungen zu den Beiträgen von I. Böttcher und A. Schön und G. Hoffmann

Zunächst einmal finde ich es bedauerlich dass nicht alle Beiträge sich in ihrer Polemik im Rahmen eines Meinungsstreites zwischen Genossen bewegten. Aber darauf will ich nicht näher eingehen.

Wie gesagt, las ich zuerst die Antwort der Genossin Böttcher auf die Kritik von Andrea und Gerald an ihrem vorhergehenden Artikel in offensiv 5/03.

Andrea und Gerald stellen fest, bei Jacobs und Böttcher seien einige Kardinalfehler bei der Bestimmung von Grundkategorien der politischen Ökonomie aufgetaucht, die grundsätzlich zu klären seien.

I. Böttcher schrieb in ihrem Artikel “Die Crux mit dem Wertgesetz” (5/03, S.18/19) : “Wa-renproduktion ist ein Austauschverhältnis in Folge von Arbeitsteilung und ich bin daher zu der Überzeugung gelangt, dass wegen der immer weiter fortschreitenden Arbeitsteilung in der gesellschaftlichen Produktion, das Wertgesetz auch nach Abschaffung der Warenwirtschaft nicht verschwinden wird.”

Dagegen wandten sich völlig zu Recht Andrea Schön und Gerald Hoffman mit dem Einwand, nicht die Arbeitsteilung, sondern das Privateigentum an Produktionsmitteln sei das wesentliche, konstitutive Element der Warenproduktion. (13/03, S.57).

Überraschenderweise reagierte I. Böttcher auf die Feststellung von Schön/Hoffmann “In Ab-wesenheit von Privateigentum bringt die gesellschaftliche Arbeitsteilung keine Warenproduk-tion hervor” mit der Bemerkung, dies sei eine “nicht hinreichend bewiesene Behauptung(4/04, S.26).

Andrea und Gerald erklären ferner zu einem Kardinalfehler von I. Böttcher deren Behauptung, “der ‚Wert der Arbeit‘ (gemeint ist wohl die in Waren wertvergegenständlichte Arbeitszeit) müsse immer gemessen werden” (13/03, S.58).

Auf diese Kritik antwortete I. Böttcher mit folgender Erklärung: “Innerhalb jener Erfahrung, die ich in über vierzig Jahren Berufstätigkeit in nur zwei VEB verschiedener Branchen (Kon-fektion und Elektronik) gewinnen konnte wurde jener Terminus, für den mich sicher unsere Klassiker auch gerügt hätten, zum Leitprinzip, nämlich alle wirtschaftlichen Proportionen nach dem Wert der Arbeit, also der Gesamtheit der eingesetzten gesellschaftliche Arbeitszeit pro Gebrauchswert berechnen zu müssen, weil Rentabilitätsfrage. Unbestreitbar ist, wenn auch der Zungenschlag falsch, der Gedanke richtig. Karl Marx hätte einfach festgestellt: Gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer anderen ausgetauscht = dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten.”

Zur Bekräftigung dieser Feststellung führt sie sehr wichtige und diese ihre Auffassung bestä-tigende Ausführungen von Karl Marx aus dem Kapital an. (4/04, S.32)

Sie wiederholt nun nicht mehr ihre falsche Ansicht aus dem ersten Artikel, das Wertgesetz werde auch nach Abschaffung der Warenwirtschaft nicht verschwinden, aber sie nimmt sie auch nicht ausdrücklich zurück. Deutlich wird damit, dass sie zumindest zeitweise unzulässigerweise ein Gleichheitszeichen setzte zwischen “Wertgesetz” und “Austausch von gleicher Arbeitsquantität” im Sozialismus. Immerhin geht aus ihrem zweiten Artikel hervor: es geht ihr nicht darum, den Wertbegriff zu verewigen, sondern darum, dass mit dem Wegfall der Warenproduktion nicht auch die Berechnung von Aufwand und Ergebnis aufhören darf und wird. Auch dafür zitiert sie – und dafür verdient sie ein Dankeschön – Ausführungen von Marx im “Kapital”: “Zweitens bleibt nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise, aber mit Beibehaltung gesellschaftlicher Produktion, die Wertbestimmung vorherrschend in dem Sinn (meine Hervorhebung, K.G.), dass die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter die verschiedenen Produktionsgruppen, endlich die Buchführung hierüber, wesentlicher denn je wird.” 4/04, S.26).

In seinen Randglossen zum Gothaer Programm fasste Marx den gleichen Gedanken in die Worte: In der ersten Phase des Kommunismus, (also in seiner sozialistischen Phase), “erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt…. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds) und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln so viel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück.” (MEW, Bd. 19, S.20)

Das heißt: das Geld fungierte bei uns und fungiert in allen sozialistischen Ländern in dieser ersten Phase in einer doppelten Funktion: zum einen noch immer als Geldausdruck des Wertes der Waren, soweit noch Warenaustausch stattfindet; zum anderen aber als jener “Schein”, den der Produzent als Äquivalent für die von ihm gelieferte Arbeit erhält, (also nicht für den “Wert seiner Arbeitskraft”, die ja keine Ware mehr ist!), um damit ein gleiches Quantum Arbeit- nach Abzügen – in Gestalt von Konsumgütern aller Art aus dem gesellschaftlichen Vorrat entnehmen zu können. Daher wird es einen solchen “Schein” – sei es in der jetzigen Geldform oder vielleicht später einmal direkt als Bescheinigung für die Leistung eines bestimmten Arbeitsquantums – so lange geben, wie der Grundsatz gilt: “Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung.” (Anders Andrea und Gerald; sie meinen: “Der ‚Arbeitslohn‘… liegt nur so lange in Geldform vor, solange es noch Konsumgüter in Warenform gibt.” – 13/03, S.65)

So berechtigt meiner Ansicht nach viele Einwände von Schön/Hoffmann zu Böttchers Aus-führungen sind, – mich hat doch deren Einseitigkeit gestört. Dabei handelt es sich um eine doppelte Einseitigkeit: Obwohl eingangs von ihnen auf beide Diskussionsbeiträge, den von Hermann Jacobs und den von Ingeborg Böttcher verwiesen wird, bleibt Böttcher alleiniges Objekt ihrer kritischen Bemerkungen. Zweite Einseitigkeit: ich vermisse, dass auch die positive Leistung von Ingeborg Böttcher wenigstens erwähnt, wenn schon nicht gewürdigt wird. Und die liegt vor allem in ihrer sehr notwendigen kritischen Auseinandersetzung mit den Ansichten von Hermann Jacob.

Eine solche Auseinandersetzung ist schon deshalb außerordentlich verdienstvoll, weil das ein sehr mühseliges Unterfangen ist. Dies nicht etwa, weil sich H. Jakobs Ausführungen durch eine besondere Gedankentiefe auszeichnen, sondern weil sie in einer Sprache dargeboten werden, die mehr zur Unkenntlichmachung der gemeinten Gedanken als zu deren Offenbarung geeignet ist. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen mit seinen Texten kann ich die Richtigkeit der Bemerkung von I. Böttcher(H.5/03, S.22, Fn.12) nur dick unterstreichen: “…die Arbeit von Hermann Jacobs(ist) sehr schwer verständlich und vieles ebenso schwer richtig zustellen bzw. zu beantworten”.

Umso bewundernswerter fand ich es, dass sie sich die ungeheure Mühe machte und den Text von H. Jacobs Punkt für Punkt – insgesamt nicht weniger als 30 Punkte! –einer in den meisten Fällen treffenden kritischen Analyse unterzog. Und ich kann – ebenfalls aus eigener Erfahrung – bezeugen, dass sie kein bisschen übertrieben hat, wenn sie am Schluss ihres Artikels schrieb, dass es eine “Wahnsinnsarbeit” war, “das Fragment von Hermann Jacobs zu entwirren.” Das wäre durchaus eine Anerkennung durch A. Schön und G. Hoffmann wert gewesen.

II. Zu Hermann Jacobs‘ “Sozialismus- Kritik und – Reform von links”

1.Vorab einige Bemerkungen zu Besonderheiten von Texten von Hermann Jacobs.

Bevor ich auf die erstmals im Heft 4/04 deutlich offenbarte Jacobssche “Weiter – und Höhe-rentwicklung” der marxistischen Sozialismus-Theorie zu sprechen komme, stelle ich einige Beispiele aus seinem Text “Die ökonomischen Formen des Revisionismus” (H. 15/03) vor, die zum einen Proben von der von I. Böttcher konstatiertenschweren Verständlichkeit der Ja-cobs-Texte geben, zum anderen aber davon Zeugnis ablegen, mit welcher Kühnheit er Thesen verkündet, die ganz offenkundig im Widerspruch stehen zu erprobten marxistischen Erkennt-nissen.

“Eine Planwirtschaft ,die meint, sie könne mit zwei ökonomischen Systemen arbeiten – (dem sowjetischen Zentralismus und der jugoslawischen ‚Selbstverwaltung‘, K.G.) – hat kein ori-ginales, wirkt unbestimmt, für Bestimmung offen. Als also diese Spaltung im Bewusstsein er-schien, war das Erkennen, folglich das Bekennen zu einem originären ökonomischen System den Formen nach moralisch, politisch enthauptet, musste das politische Subjekt des Sozialismus, vorrangig die Partei, in einen inneren Gegensatz geraten, mussten hier Reformer, Erneuerer und dort Konservative, Dogmatiker erscheinen. In der Tat sind wir, ist der Marxismus außerstande, die Frage des Revisionismus ökonomischer Form in einer anderen als politischen Form, also als gegensätzliche Auffassung im Recht und in der Rolle der Partei und des Staates der Arbeiter aufzuwerfen, würde es nicht dieses Schwanken im Verhältnis zu den ökonomischen Mechanismen der Warenproduktion gegeben haben, würde es nicht die Reform gegeben haben, den ersten, neuen Mechanismus wieder gegen den zweiten, alten auszutauschen.”(H.15/03, S.48).

Dies als Beispiel für viele ähnliche Aussagen, zu deren Verständnis man sich recht mühevoll vorarbeiten muss.

Als Beispiele für allzu kühne, allzu wenig an der Praxis überprüfte, aber quasi als Axiome hingestellte Urteile nur diese:

(gleiches Heft, S.36, Fußnote 21) “Der Sozialismus/Kommunismus hat keine Außenpolitik; dass er eine hat, weist auf die kapitalistische Umkreisung dieses Sozialismus/Kommunismus hin…”

(Fußnote 22, S.37): “Der Revisionismus in der Außenpolitik sozialistischer Staaten besteht darin, dass er kein Verhältnis zu den äußeren (aus seiner Sicht äußeren) revolutionären Kräften in den kapitalistischen Ländern herstellt…”

H. Jacobs folgert also aus der Formationsgleichheit sozialistischer Staaten kurzschlüssig, dass es zwischen ihnen nur ein Innen-, aber kein Außenverhältnis geben könne, und somit auch keine Außenpolitik. Dieses Beispiel zeigt mit besonderer Deutlichkeit, dass er seine Erkenntnisse nicht aus der Analyse des tatsächlichen Geschehens, in diesem Falle also der 40jährigen Geschichte der Außenpolitik der sozialistischen Staaten zueinander, gewinnt, sondern dass sie pure Kopfprodukte sind, deren Ausgangspunkt nicht das wirkliche Geschehen ist, sondern seine ganz besondere Vorstellung davon, was Sozialismus/Kommunismus zu sein hat.

Dafür gleich noch ein Beispiel, diesmal aus dem Artikel in Heft 4/04, S. 8, in dem er sein Fazit der bisherigen Diskussion darlegt. “ Noch einmal zu meiner Position: Zu keiner Zeit von sozi-alistischer Realität nach der Oktoberrevolution – je später nach ihr desto weniger – hat es in der Sowjetunion eine Warenproduktion, deren ‚besondere Form‘, gegeben; weder wirkte der Wert, das Wertgesetz, noch regulierten diese die Produktion, auch nicht eingeschränkt, bezüglich bestimmter Gebiete oder Seiten der Produktion und Verteilung, d.h. auch nicht im Verhältnis von Volkseigentum und Genossenschaften.”

Und schließlich noch dieses Beispiel: im gleichen Heft, S.11, Fußnote 6, belehrt Jacobs I. Böttcher: “Als Planwirtschaft ist der Sozialismus entwickelter Sozialismus! Von Sozialismus (gleich einer Gesellschaftsordnung – nur nicht einer besonderen, gegen den Kommunismus abgeschotteten, liebe Genossen von der einstigen SED) muss man sprechen, sobald er seine ökonomische Form gewonnen. Da ist es bereits falsch (!), von der Errichtung nur der Grundlagen des Sozialismus (ab der Planwirtschaft) zu sprechen und sich vorzunehmen, an den ‚Aufbau des entwickelten Sozialismus‘ heranzugehen. Das sind einerseits zuviel Perioden, andererseits zu wenig PERIODE.”
Mit diesem axiomatischen Diktum im Stile eines selbsternannten “Klassikers des Marxismus” wischt Jacobs die wichtige Erkenntnis Walter Ulbrichts beiseite, die dieser im September 1967 in einer bedeutsamen Rede als Erfahrung der bisherigen Geschichte des Aufbaus des Sozia-lismus ausgesprochen hatte. Er sagte in dieser Rede, der Sozialismus sei keine kurzfristige Übergangsphase, sondern werde einen längeren Zeitraum einnehmen. In der DDR habe man bisher eine erste Entwicklungsphase des Sozialismus durchlaufen, in der die sozialistischen Produktionsverhältnisse zum Siege geführt wurden. Damit sei man in eine zweite Phase ein-getreten, in der es darum ginge, “das entwickelte System des Sozialismus” zu gestalten. (Walter Ulbricht, Die Bedeutung des Werkes “Das Kapital” von Karl Marx für die Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR und den Kampf gegen das staatsmonopolistische Herrschaftssystem in Westdeutschland, Berlin1967.)

Damit genug der Beispiele zu Besonderheiten von H. Jacobs Ausdrucksweise und Argumen-tation.

In seinem Artikel in Heft 4/04 legt Hermann Jacobs erstmals seine Sozialismus-Theorie un-verschlüsselt dar. Das gibt endlich die Möglichkeit, sich nicht nur mit einzelnen seiner Thesen, sondern mit seiner Grundposition kritisch zu beschäftigen.

2. Hauptbestandteile von Hermann Jacobs Sozialismus-Kritik

Die Möglichkeit, ja die Unvermeidlichkeit des ökonomischen Revisionismus im Sozialismus liegt nach Ansicht von H. Jacobs darin, dass die “offizielle” Theorie des Sozialismus in einem Punkt falsch ist und korrigiert werden muss. Diese Korrektur hat er – so meint er – mit seiner Theorie geleistet. Ihre allgemeine Übernahme in die Theorie des Sozialismus betrachtet er als Voraussetzung für den Erfolg eines neuen sozialistischen Anlaufes.

“Das also ist meine Position, von der ich gerne sähe, dass sie die allgemein anerkannte, auch im Rahmen dieser Diskussion, würde; ich bitte zu berücksichtigen, dass ich keine Meinung von den Dingen äußere, denen nur andere Meinungen entgegenzustellen wären, sondern versuche, mit einem möglichst klaren Bild den realen Mechanismus einzufangen, der im Sozialismus gewirkt hat.”

Na dann: “schaun‘ wir mal !”

2 a ) Der Grundfehler der offiziellen Sozialismus – Theorie: Warenproduktion im Sozia-lismus

Der Fehler der “offiziellen Theorie” liegt nach H. Jacobs darin, dass sie im System des Sozia-lismus von einem Neben- und Miteinander von Warenproduktion und Planwirtschaft, vom Wirken des Wertgesetzes und von der Existenz von Waren auch noch im Sozialismus ausgeht.

Jacobs: “Um die Realität des Sozialismus zu erkennen, muss in der Theorie der An-teil/Einfluss/Rolle der Warenproduktion zurückgebaut und muss der Aufbau einer Planwirtschaft in den Vordergrund gerückt werden. Von dieser Position sage ich auch, dass sie die für die Arbeiterbewegung zukünftig zu entwickelnde ist. Damit ist auch die offizielle Theorie, worin der reale Sozialismus als eine Symbiose von Planwirtschaft und Warenproduktion erklärt wie verteidigt worden ist, überholungsbedürftig. Ihr rationaler (planwirtschaftlicher) Kern ist dadurch hervorzuheben, dass ihr Teil Warenproduktion über Bord geworfen wird.

Das ist das Neue an meiner Position, sie sieht die Praxis des Sozialismus anders, weiter in Bezug auf den Kommunismus hin entwickelt; gegen sie anzugehen, entlarvte die warenökonomischen Reformen von vornherein als Revisionismus, und an ihr haben gestandene Marxisten am meisten zu knabbern, weil sie sich eben in der Theorie auf eine Symbiose von Plan und Warenproduktion eingelassen haben und dadurch – ob sie das schon begreifen oder nicht – ein offenes Ohr für Reformen gewinnen: im Sinne einer langsameren Trennung von der Warenproduktion, daher ihrer ‚größeren Rolle‘, und eines nicht so schnellen Übergangs zum Kommunismus.”( S.8/9)

Die Partei – so Jacobs – hat diesen Fehler der Theorie nicht erkannt, sondern die Theorie der Warenproduktion im Sozialismus verteidigt. “Die Reform des Sozialismus ist die wichtigste Herausforderung des Sozialismus. Und hier war der Wunsch der Reform auf eine andere Praxis die Pflicht der Partei zu einer anderen Theorie, also entweder erweiterten oder direkt anderen Theorie. Aber … aber die Partei in der SU, also die KPdSU, in der DDR die SED usw., behandelten ihre Ökonomie, deren Kategorien, als solche der Warenökonomie; die Partei hätte sie – meine Meinung – als Kategorien der Nichtwarenökonomie, einer Bedarfsökonomie oder unmittelbar gesellschaftlichen Ökonomie behandeln müssen, dann hätte sie sich ökonomisch über die ‚Warenproduktion’ gestellt, d.h. auf den Boden einer anderen Ökonomie gestellt…. Dann hätte es eine revidierende Reform geben können, aber nur als Gegensatz; die andere Theorie der Praxis hätte die andere Reform sofort als Gegensatz erkannt. Aber die selbst als Warenproduktion bestimmte Theorie konnte nur einen Unterschied, keinen Widerspruch er-kennen. Mehr wollte sie nicht sein, sie wollte ihre Unterschiede nicht zu ihrem Gegensatz entwickeln.”(S. 12).

2 b) Geld und Preise im Sozialismus

Aus dem erstgenannten Fehler ergibt sich nach Jacobs auch eine falsche Sicht der offiziellen Theorie auf die Funktion des Geldes im Sozialismus. Nach ihr ist der Preis auch im Sozialismus beim Warenaustausch der Geldausdruck des Wertes, beim Produktenaustausch Geldausdruck geleisteter Arbeit, gemessen an der für die Herstellung des Produkts (gesellschaftlich notwen-digen) Arbeitszeit.

Das ist nach Jacobs grundfalsch. Nach ihm ist das Geld nur deshalb fähig, in der Planwirtschaft zu fungieren, weil es von der Bindung an Wert und Zeit losgetrennt werden kann.

Jacobs (S.8): “Die Planwirtschaft (kann) nicht beginnen, wenn der Wert noch die Aneignung beherrscht., d.h. hier herrscht ein gegenseitiger Ausschluss: entweder diese Form oder jene Form, beide zur gleichen Zeit geht nicht. Diese Auffassung ist nun an die Bedingung geknüpft, – und hier wieder anhand der Praxis – (? K.G.) – , dass das Geld im Sozialismus (also nicht das Geld schlechthin, sondern das Geld ab einer bewussten Einflussnahme der herrschenden Ar-beiterklasse auf die Geld- und Preispolitik ) [Frage: Wann beginnt die? Nicht sofort mit der Eroberung der Macht, sondern erst mit der Planwirtschaft?/K.G.] getrennt vom Wert erklärt wird, d.h. es muss das Geld existieren können, ohne dass es auf Wert von Produktionsgütern Bezug nimmt oder umgekehrt, Produktionsgüter in Bezug auf das Geld den Wert wahrnehmen. Die Trennbarkeit des Geldes vom Wert ist die erste Bedingung einer Trennbarkeit der Menschheit von der Warenproduktion überhaupt.”
Seite 10: “Nur weil im Geld nicht mehr der Wert ausgedrückt wurde, konnte das Geld in die Planwirtschaft oder kann es weiter in den Kommunismus hinein genommen werden.”

Und auf S. 15, Fußnote 11: “Die direkt den Sozialismus betreffenden Auffassungen von Andrea Schön und Gerald Hoffmann, dass wir es ‚im Sozialismus als erste Phase des Kommunismus noch mit einem Neben- und Ineinander von Warenproduktion und -austausch auf der einen Seite und Produktion von Gebrauchsgütern auf Basis des Staatseigentums und deren Verteilung auf der anderen Seite zu tun haben‘, teile ich nicht. Wegen der anderen Funktion des Geldes und der Preise findet tatsächlich eine Ablösung der einen durch die andere Produktionsweise statt, nicht erfolgt deren ‚Ineinander‘… Auch sonst gibt es in diesem Beitrag noch eine Fülle von Überlegungen, die nichts als Zugeständnisse an den alten Adam sind, z.B. Tausch (!) ‚mit sozusagen direkt gesellschaftlichen Arbeitszeiten‘. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sollen aber nicht mehr über die Arbeitszeiten, egal von welcher Form, vermittelt sein. Zeit ist ihre Entfremdung vom Gebrauchswert.”

Wieso denn das? Wo ist denn der Gebrauchswert, für dessen Produktion keine Zeit gebraucht würde?

Ist sich Jacobs eigentlich bewusst, dass er uns nun erklären muss, wieso Geld überhaupt noch ein brauchbares Instrument der Planwirtschaft sein kann, wenn es infolge der von ihm postulierten Trennung des Geldes von Wert und Zeit nichts mehr gibt, wodurch die Relation der umlaufenden Geldmenge zur vorhandenen- und über das Geld auf die Produzenten im Maße der von ihnen geleisteten Arbeit zu verteilenden – Produktenmenge bestimmt wird?
Aber ein solches Verhältnis – nämlich ein Gleichgewicht zwischen der Geldmenge und der Menge der mit dieser Geldmenge auszutauschenden (oder, wenn Jacobs das besser gefällt: der mit ihr anzueignenden) Produkte – muss bestehen, wenn das Geld seine Funktion als “Berech-tigungsschein” für die Entnahme von Produkten im Umfange der von seinem Inhaber für die Gesellschaft geleisteten Arbeit erfüllen soll.

Diese Bestimmung ist nach Ansicht aller Marxisten seit Marx gegeben durch die Funktion des Geldes als Maßstab des Wertes bzw. der geleisteten Arbeit, gemessen in (gesellschaftlich notwendiger) Arbeitszeit. Die Summe der Preise aller Produkte entspricht der Summe des Wertes aller dieser Produkte, bzw. der Summe der in ihnen geronnenen Arbeitszeit-Einheiten.

Es hat den Anschein, als ob Jacobs sich dessen bewusst ist, dass da er da eine Lücke aufgetan hat, die er schließen muss, formuliert er doch: “Für eine Existenz des Geldes ohne seine Funktion als Ware des Wertmaßes muss die theoretische Erklärung gefunden werden.” (S. 8) Dabei bleibt es aber. Die von ihm selbst als erforderlich bezeichnete Erklärung bleibt er schuldig. Und die musste er auch schuldig bleiben, weil er die bereits seit Marx vorhandene, die Wirklichkeit exakt beschreibende Erklärung verwirft, er sich aber eine andere – trotz wahrscheinlich großem Bemühen – nicht auszudenken vermochte.

Sein oben zitierter Satz: “Nur weil im Geld nicht mehr der Wert ausgedrückt wurde, konnte das Geld in die Planwirtschaft oder kann es weiter in den Kommunismus hinein genommen werden” muss, um etwas Richtiges auszusagen, umformuliert werden, etwa so:
“Nur, weil im Geld nicht nur der Wert einer Ware, sondern auch die zu ihrer Herstellung ge-sellschaftlich notwendige Arbeitszeit ausgedrückt ist, kann es auch im Sozialismus weiterhin in einer doppelten Eigenschaft fungieren: beim Warenaustausch als Äquivalent des Wertes der Ware, beim Produktenaustausch als Äquivalent für geleistete Arbeit, gemessen in Arbeitszeit. Ohnedem wäre das Geld unbrauchbar für die Planwirtschaft.”

H. Jacobs wird allerdings der Feststellung, er habe die von ihm selbst geforderte theoretische Erklärung “für eine Existenz des Geldes ohne seine Funktion als Ware des Wertmaßes” nicht gegeben, für falsch erklären und darauf verweisen, dass er doch schon in seinem Anhang : “Die zwei Formen der Aneignung” zu seinem Artikel “Die ökonomische Form des Revisionismus” in Heft 15/03 diese Erklärung gegeben habe. (Auf diesen Anhang komme ich weiter unten zu sprechen). Und im Artikel in Heft 4/04 sei diese Erklärung ja doch auch mit den folgenden Sätzen gegeben worden: “Der einzige ‚Widerspruch‘, das nicht von vornherein zu Verstehende, in ‚meiner‘ Auffassung scheint zu sein, dass die Planwirtschaft mit Hilfe des Geldes begonnen wurde, dass der gesellschaftliche Händewechsel der Produkte über einen Rückkauf in der Geldform vonstatten ging, d. h. Planwirtschaft mit einer Geldwirtschaft einherging. Warum muss man dennoch von einer Planwirtschaft sprechen, aber mit einer Geldwirtschaft? Hier steht die neue Theorie vor ihrer Bewährung, denn die alte macht es sich einfach, folgert sie im Sozialismus die Warenproduktion doch formell aus dem Geld; und hier wird nun das Gegenteil behauptet. Geld im Sozialismus drückt nicht ein Neben- oder Ineinander, sondern ein Nach- und Gegeneinander von Plan- und Warenwirtschaft aus. Warum ein Gegeneinander? Weil die Geldwirtschaft 1. auf keinem Preissystem beruhte, in dem die Preise beständig und systematisch auf den Wert zurückgeführt wurden, so dass 2. Geld in seiner Menge auf der Vermehrung der Warenmenge beruhte, womit der Wert der Ware nicht mehr messbar ist, denn ein Wert läuft nicht kongruent mit der Menge der Waren, sondern dieser entgegengesetzt. Nur wenn das Geld eine zur Warenmenge entgegen gesetzte Bewegung ausführt, kann die der Warenmenge entgegen gesetzte Bewegung der Ware, deren Bewegung als Warenmenge, gemessen werden, sonst nicht. (Alle Verhältnisse des Wertes der Ware müssen entgegengesetzt zur Menge der Waren ausgedrückt werden, sonst findet der Doppelcharakter der Arbeit nicht mehr zu seiner Erscheinung.) Sonst wird Geld ein Analog der Warenmenge (oder Arbeitsproduktivität). Und damit ein anderes Geld, d. h. kein Geld. Bei Parallelität von Ware und Geld wird der Wert unmessbar, weil unerscheinbar. (Dass der Wert von 20 Ellen Leinewand gleich 20 Ellen Lei-newand wäre, also in seinem eigenen Gebrauchskörper gemessen würde, nannte Marx eine Tautologie.) D. h. das sozialistische Preissystem war ein Nichtwert-Peissystem und das Geld keine eigene Ware. Nur deshalb kann man trotz der Geldwirtschaft vom Sozialismus als keiner Warenproduktion mehr sprechen, sondern als einer dieser entgegen gesetzten Gesellschaft.(Sonst bliebe ja nur die Abschaffung des Geldes, aber das begreift dann auch ein ‚Schulkind‘)” (S. 9/10)

Ich glaube kaum, dass Jacobs einen Menschen finden wird, der ihm diesen undurchdringlichen Sprachverhau als eine “neue Theorie” abnimmt, die einleuchtend erklärt, warum das Geld im Sozialismus nicht mehr als Wert- bzw. Arbeitszeitmaß fungiert. Es ist wohl keine unbillige Forderung an Jacobs, sich doch zu bemühen, was er hier meint, weniger verschwommen und gedanklich wie begrifflich eindeutig formuliert zum Ausdruck zu bringen.

2 c ) Wann begann der Revisionismus in der Sowjetunion? Eine linke Sozialismuskritik tut not!

Als einen weiteren Fehler der Anhänger der “offiziellen Theorie” hat Jacobs ausgemacht deren Ansicht, der Revisionismus in der Sowjetunion habe seinen Anfang nach dem Tode Stalins unter Chruschtschows Regime gefunden. In seiner Kritik an den Positionen von Schön/Hoffmann sagt Jacobs: “Nicht ‚nach Stalin‘ fing die revisionistische Praxis an, sondern mit Stalin bereits hing die Theorie des Sozialismus hinter der Praxis zurück! Und war deshalb im Sinne einer falschen Entwicklung (= Reform) auszudeuten. Um diesen Mut – zur Selbstkritik – bei der Verteidigung des Sozialismus wird gebeten.” (S. 16).

Die vermisst er bei Schön/Hoffmann vor allem deshalb, weil sie keine Kritik an der Position der “offiziellen Theorie” üben: “Im Gegenteil, diese Position verteidigen Andrea Schön und Gerald Hoffmann im Großen und Ganzen als die in der Theorie wie Praxis richtige Position, d.h. Plan und Ware sind auch bei ihnen weitgehend berechtigt. Nur die Reform ist bei ihnen eben un-berechtigt.” (S.16)

Wer die “offizielle Theorie” verteidigt, hat nach Jacobs das Problem des “realen Sozialismus” nicht erkannt. Dieses sei, “in einem Satz ausgedrückt, dass der Gegensatz zur Warenproduktion politisch betont wurde, aber nicht ökonomisch erkannt;…Die Ökonomie wurde so der Boden für zwei Theorien, d. h. der Boden der Partei wurde so der Boden für die Antipartei. Die Reform des Sozialismus konnte sich konstituieren – pro Bekenntnis und gegen die Bedenken. So wurde die Reform die bessere, die konsequentere Partei, wurde die Reform führend und die Revolution ‚konservativ‘. Stalins, oder der Parteien, Triumph, den Sozialismus aufgebaut zu haben, kann nicht verdecken, dass er nicht hinreichend als Bruch verstanden wurde. ‘Stalin‘ vorzuwerfen, dass er ‚brach‘, kann vom Marxismus nur so beantwortet werden, dass er nicht genug brach. Der Beginn des Sozialismus war von vornherein mit einem ungenügenden Bewusstsein vom Sozialismus belastet.” (S.13)

Wie sehr diese Erklärung konstruiert ist und blind gegenüber der Wirklichkeit, ist noch zu zeigen.

Was er jedoch glaubt, mit dieser Kritik geleistet zu haben, geht aus diesen seinen Ausführungen hervor: “Wir brauchen … eine Kritik an der Reform, in der die ungenügende Analyse des So-zialismus durch die Linken oder durch die Revolution selbst – als der theoretischen Voraus-setzung der Kritik des Sozialismus durch die Rechten – mit einbezogen, also nicht ausge-schlossen ist. Der Sozialismus darf nicht so tun, als bedürfe er keiner Kritik, als bedürfe der Kritik nur die Reform. Es gibt nicht nur eine rechte Kritik wie rechte Reform am Sozialismus, sondern auch eine linke Kritik (und Reform) am Sozialismus (oder meinetwegen ‚an Stalin‘….). Es gibt keine Entwicklung des Sozialismus oder Marxismus (‚zu neuen Höhen‘), ohne dass die linke Kritik am Sozialismus konstituiert wird (was im übrigen nichts mit ‚linker‘ Kritik am Sozialismus zu tun hat, Trotzkismus etwa…. Aber bei uns geht es um Verständnis des Zentralismus, das Fassen der Gesellschaft als Gesamtheit.” (S.17)

III. Versuch einer Darstellung der Jacobs’schen Sozialismus-Theorie als System

Ich habe bisher versucht, mit den angeführten Zitaten in etwa die Hauptgedanken dessen wiederzugeben, was Jacobs als die von ihm geschaffene “neue Theorie des Sozialismus” be-zeichnet.

Es war aber ein sehr mühsames Geschäft, die einzelnen Elemente dieser “neuen Theorie” zu-sammenzutragen. Normalerweise ist der Entdecker oder Erfinder einer neuen Theorie, – aus dem Wunsch heraus, diese seine Theorie möge allgemeine Anerkennung finden -, bemüht, sie in einer möglichst verständlichen Sprache und so vorzutragen, dass ihr Ausgangspunkt klar ist und ihre innere Folgerichtigkeit den Leser von ihrer Richtigkeit überzeugt. Nichts davon bei H. Jacobs. Er hat die Bestandteile seiner neuen Theorie in Bruchstücken über die vielen Seiten seines Artikels, zu einem nicht geringen Teil sogar in die Fußnoten, verstreut. Jacobs mutet dem Leser zu, aus diesen verstreuten Bruchstücken seine Theorie zu rekonstruieren, eine Mühe, der sich mit vollem Recht kaum einer unterziehen wird; das Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag ist gar zu groß. Ich habe es dennoch unternommen und lasse das Ergebnis meines Versuches folgen, indem ich in Thesenform die einzelnen Bausteine seiner ‚neuen Theorie‘ vorführe und die entsprechenden Stellen seines Textes zitiere bzw., soweit dies schon geschehen, auf die entsprechende Seite verweise.

1. Nochmals zur Warenproduktion im Sozialismus. Jacobs korrigiert Stalin

Im Sozialismus gibt es nur Planwirtschaft, keine Warenproduktion. (S.8 und andere).

Stalins Begründung für die Existenz der Warenproduktion im Sozialismus – die Existenz zweier Eigentumsformen, des staatlichen und des Gruppeneigentums,- ist falsch. Jacobs Begründung: “Die Genossenschaften wandten das selbe Preis- und Geldsystem an wie die volkseigene Wirtschaft oder “staatliche Eigentum.” Und wenn vom ‚staatlichen‘ gesagt werden muss, es sei kein wertökonomisches mehr, hat das auch für das ‚genossenschaftliche‘ zu gelten. Wenn hier aber von Übereinstimmung gesprochen werden muss, worauf bezieht sich dann die These, das genossenschaftliche Gruppeneigentum erfordere die Warenproduktion? Umgekehrt: Würde trotz des besonderen Preis- und Geldsystems Warenproduktion bestehen, würde das auch für das Volkseigentum gelten und dann haben wir – Warenproduktion, solange das Geld besteht.” (S.16, Fn. 13).

Jacobs Argumentation zeugt davon, dass er Stalins Begründung schlecht gelesen oder aber nicht verstanden hat. Denn in den “Ökonomischen Problem des Sozialismus in der UdSSR” schreibt Stalin:

“In den staatlichen Betrieben sind die Produktionsmittel und die Erzeugnisse der Produktion allgemeines Volkseigentum. In den kollektivwirtschaftlichen Betrieben hingegen sind, obwohl die Produktionsmittel (Boden, Maschinen) auch dem Staat gehören, die Erzeugnisse der Produktion jedoch Eigentum der einzelnen Kollektivwirtschaften, da es sich in den Kollektivwirtschaften sowohl um eigene Arbeit als auch um eigenes Saatgut handelt, während die Kollektivwirtschaften über den Boden, der ihnen zur unbefristeten Nutzung übergeben worden ist, faktisch wie über ihr Eigentum verfügen, obwohl sie ihn weder verkaufen noch kaufen, weder verpachten noch verpfänden dürfen.

Aber die Kollektivwirtschaften wollen ihre Produkte nicht anders als in Form von Waren veräußern, für die sie im Austausch die von ihnen benötigten Waren erhalten wollen. Andere ökonomische Verbindungen mit der Stadt als Warenbeziehungen, als Austausch durch Kauf und Verkauf sind für die Kollektivwirtschaften gegenwärtig (Hervorhebung von mir, K.G.) nicht annehmbar. Darum sind Warenproduktion und Warenumlauf bei uns gegenwärtig (Hervorhebung K.G.) eine ebensolche Notwendigkeit, wie sie es beispielsweise vor dreißig Jahren waren, als Lenin die Notwendigkeit der allseitigen Entfaltung des Warenumlaufs ver-kündete. Wenn an die Stelle der zwei grundlegenden Produktionssektoren, des staatlichen und des kollektivwirtschaftlichen, ein allumfassender Produktionssektor mit dem Verfügungsrecht über alle Konsumgüter des Landes getreten sein wird, dann wird natürlich die Warenzirkulation mit ihrer ‚Geldwirtschaft‘ als unnötiges Element unserer Volkswirtschaft verschwinden”. (S.16/17).

2. Nochmals zu Geld und Preis im Sozialismus.

Jacobs: Die alte Theorie folgert die Warenproduktion im Sozialismus formell aus dem Geld. Das Gegenteil ist richtig: das Geld drückt im Sozialismus nicht ein Neben- oder Ineinander aus, sondern ein Nach- und Gegeneinander von Plan und Warenwirtschaft. (S.9).

Jacobs: Das Preissystem im Sozialismus ist ein anderes als das in der Warenproduktion.
” Preissystem der Planwirtschaft und Preissystem der Warenproduktion sind entgegengesetzte Systeme.”(S.11)

In der Warenproduktion ist der Preis ein Wertpreis, in der Planwirtschaft ist er ein Festpreis.

Nähere Ausführungen dazu finden wir in Jacobs Arbeit “Die ökonomische Form des Revisio-nismus”, in Heft 15/03 von “offensiv”, S. 49, Fußnoten 48 und 49.

Fußnote 48: “Aber kann mit Geld, mit überhaupt einem Preis geplant werden? Aber selbst-verständlich, das ist bewiesen worden. Festpreis ist die einzige Form für den Preis, in der nicht auf den Wert reagiert werden kann! Also kann mit ihm geplant werden.”

Fußnote 49: “Festpreis heißt – in der Planwirtschaft – nur fest gegen den Wert, also nicht zu verändern durch diesen. Ansonsten kann er verändert werden, wenn dies ein Interesse ist, das sich aus der Aneignung dem Gebrauchswert nach ergibt.” ( Meine Hervorhebung, K.G.)

Damit wird deutlich: Jacobs schließt seine These der Trennung des Geldes vom Wert aus der Tatsache, dass im Sozialismus viele Konsumgüter zu einem Preis verkauft werden, der unter ihren Kosten liegt: Mieten, bestimmte Lebensmittel, Kinderkleidung, usw.

Er lässt dabei aber völlig außer acht, dass dies nur möglich war und prinzipiell nur möglich ist, weil der nicht durch den Preis gedeckte Teil der Produktionskosten vom Staat durch Subven-tionen bezahlt wird. Was der Staat aber als Subventionen verausgabt, kann nicht ein zweites Mal, z. B. für den Erhalt der Altsubstanz an Wohnungen oder für Investitionen ausgegeben werden. Und: was der Staat bei subventionierten Konsumgütern zusetzt, muss er – soll eine Inflation verhindert werden – bei anderen Produkten, die nicht lebenswichtig sind – hochwer-tige Industriegüter, Autos etc., – durch erheblich über den Produktionskosten liegenden Preisen wieder hereinholen. Wenn Jacobs nicht so vernarrt wäre in sein Steckenpferd, nämlich seine Entdeckung der “neuen Theorie des Sozialismus”, dann hätte er diese einfache Lösung des Wesens seines “Festpreises” schon in Stalins “Ökonomischen Problemen” finden können. Zum Beispiel, wenn er die folgenden dort zu findenden Ausführungen- die er sicher gelesen, aber , weil sie nicht in sein Schema passen, zu seinem und unserem Schaden, die wir uns nun mit seinen halbgaren Theorien herumplagen müssen, als unrichtig verworfen hat -gründlich durchdacht hätte:

“Manche Genossen ziehen daraus den Schluss, dass das Gesetz der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und die Planung der Volkswirtschaft das Prinzip der Rentabilität der Produktion aufheben. Das ist völligfalsch. Die Sache verhält sich gerade umgekehrt. Wenn man die Rentabilität nicht vom Standpunkt einzelner Betriebe oder Produktionszweige betrachtet und nicht den Maßstab eines Jahres anlegt, sondern sie vom Standpunkt der gesamten Volkswirtschaft betrachtet und den Maßstab von etwa 10 bis 15 Jahren anlegt, was die einzig richtige Fragestellung wäre, dann steht die zeitweilige und labile Rentabilität einzelner Betriebe oder Produktionszweige in gar keinem Vergleich zu der höheren Form der sicheren und ständigen Rentabilität, die uns die Wirkung des Gesetzes der planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft und die Planung der Volkswirtschaft gewährleisten, indem sie uns vor den periodischen Wirtschaftskrisen, die die Volkswirtschaft zerrütten und der Gesellschaft gewaltigen materiellen Schaden zufügen, bewahren und uns das ununterbrochene außerordentlich schnelle Wachstum der Volkswirtschaft sichern.” (S. 25).

3. Das Jacobs’sche “neue ökonomische Recht auf Aneignung”

Diese im Rahmen der objektiven ökonomischen Gesetze bleibende Erklärung reicht Jacobs nicht aus, weil er meint, entdeckt zu haben, dass der “Wertpreis” fallen musste, um einem “neuen ökonomischen Recht der Aneignung” zum Durchbruch zu verhelfen. Seine von mir unterbrochene Fußnote 49 geht nämlich so weiter:

“Die Aufhebung des Preises als Wertpreis kommt nicht daher, dass es in der Planwirtschaft ein Desinteresse am Arbeitsaufwand gibt, sondern weil es darum geht, ein neues ökonomisches Recht der Aneignung durchzusetzen, also das Gesetz der Aneignung des Sozialismus zur Geltung zu bringen, und das kollidiert mit dem Wertpreis, weil dieser ein entgegen gesetztes Recht auf Aneignung realisiert. Festpreis ist also ein notwendiger Kompromiss zwischen neuem Inhalt und alter Form, nur Festpreis, nicht mehr auf den Wert mehr reagierender Preis ist dieser Kompromiss.”

Wie erklärtJacobs die Frage, was unter dem alten und was unter dem “neuen ökonomischen Recht der Aneignung” , unter dem “Gesetz der Aneignung des Sozialismus” zu verstehen ist? Die Antwort bleibt dunkel:

Jacobs spricht davon, dass “die Planwirtschaft mit ihrem anderen Prinzip der Aneignung als dem des Wertes beginnt; sie kann wiederum nicht beginnen, wenn der Wert noch die Aneignung beherrscht.”(S.8).

Eine Erläuterung dieses dunklen Satzes, die aber das Verständnis kaum fördert, wird in einer Fußnote gegeben: “Aneignung ist entweder von der Konsumtion her oder von der Produktion her bestimmt. Nun ist Konsumtion Aneignung. Daher ist eine von der Produktion her bestimmte Aneignung immer als deren Widerspruch zu erkennen, d. h. die Warenproduktion, die eine Aneignung von der Produktion her bestimmt, ist mit einem genetischen Makel behaftet. (S. 8, Fn.2)

Schließlich bringt Jacobs auf Seite 20 noch die Begriffe “allgemeine” und “exklusive” Form der Aneignung” ins Spiel: “Im Kommunismus geht es von Anfang an… um allgemeine Aneignung des Produzierten, nie um exklusive.”

Ich muss offen gestehen: mein Intelligenz-Quotient reicht nicht aus, den Sinn dieser Ausfüh-rungen zu kapieren. Ich führe sie dennoch an, um anderen, deren IQ höher ist, ein möglichst vollständiges Bild von Jacobs Theorie zu geben. Mir persönlich will aber scheinen, dass die zitierten Ausführungen für die “allgemeine” und gegen die “exklusive” Aneignung im Wi-derspruch stehen zu folgender Aussage von Jacobs: “Ansonsten (also wollte der Sozialismus auf das Geld verzichten) müsste, solange Knappheit herrscht, die Verteilung über ein Kartensystem erfolgen, womit die Verteilung der Form nach gesellschaftlich statt individuell bestimmt würde. Die Verteilung nach dem Bedarf soll im Kommunismus aber individuell bestimmt werden, das Individuum soll von sich sagen, wessen es bedarf und dies als Auftrag an die Produktion weiterleiten.” (S.10, Fn.4). Frage: Ist nicht die Entgegennahme des individuell Verteilten eine individuelle, damit exklusive Aneignung ? Wenn nicht, was ist dann z.B. der Kauf eines Laib Brotes? Verteilung oder Aneignung?

4. Hermann Jacobs Korrektur der Marx- Thesen über den Sozialismus

Mit der zitierten Fußnote 4 kommen wir zu einer weiteren Besonderheit der Entdeckung H. Jacobs‘. Aus dem von mir zitierten ist wohl hinreichend deutlich geworden, dass die von ihm geforderte und vorgeführte “linke Kritik an der offiziellen Sozialismustheorie” sich ausdrück-lich gegen Stalinsche Thesen in den “Ökonomischen Problemen des Sozialismus in der UdSSR richtet. In anderen Passagen stellt er sich ausdrücklich als Marxist und als Verteidiger des Marxismus gegen jene vor, die Marx revidieren:

“Es kommt darauf an, die Reform, d. h. die “Theorie der sozialistischen Warenproduktion”, wieder aus dem Sozialismusverständnis der Arbeiterbewegung zu verdrängen; sie ist bürgerliche Revision des Sozialismus.”(S. 11). Zu diesem Satz gehört die Fußnote 5 auf der gleichen Seite. Sie beginnt so:

“Diese Marx revidierende Theorie begann ja, wie bekannt, in Deutschland mit Eugen Düh-ring…”

Was also ist Stalin? Ein Nachfahre des Marx-Revidierers Eugen Dühring!

Es bleibt aber nicht dabei. Das wirklich Böse ist , dass Jacobs, der sich hier als Verteidiger von Marx gegen dessen Revidierer gibt, an anderen Stellen – aber anders als bei seiner Kritik an Stalin, nun nicht offen, sondern gewissermaßen heimlich und verkappt ohne direkten Bezug auf Marx – einige von Marxens Thesen über die Ökonomie des Sozialismus ebenfalls als Be-standteile der “alten Theorie” behandelt, die über Bord geworfen werden müssen. So hält er nichts von der Marx‘schen Kennzeichnung der zwei Phasen des Kommunismus, in deren erster nach Marx das Verteilungsprinzip gilt: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung‘ und erst in deren zweiter Phase – nachdem die Produktivkräfte erlauben, soviel zu produzieren, dass jedes (vernünftige) Bedürfnis befriedigt werden kann – nach dem Prinzip verteilt werden wird: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.‘(Siehe “Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19, S. 21).

Nein , Jacobs neue Sozialismustheorie besagt, dass schon im Sozialismus das Prinzip der Verteilung nach Bedarf – (warum wohl benutzt Jacobs hier nicht das von Marx gebrauchte Wort “Bedürfnis”?) – gilt, und dass die Verteilung nach Bedarf nicht von dem Entwicklungsgrad der Produktivkräfte abhängt. Die Fußnote 4, deren Beginn wir oben zitierten, geht so weiter:

“Die Verteilung nach dem Bedarf soll im Kommunismus aber individuell bestimmt wer-den…Diese Form der Freiheit kann aber die Produktion noch nicht garantieren (der Kommu-nismus bestimmt die Freiheit als ein Moment der Bindung an eine Gesellschaft wie deren Entwicklung) so dass die Konsumtion noch einer Beschränkung unterliegen muss – und hier geht das über eine begrenzende Geldmenge besser als über ein direkt Gütermengen zuweisendes Kartensystem (nur in Kriegszeiten ist das unumgänglich). Die begrenzte Geldmenge (Lohnmenge etc.) ist nur eine allgemeine Mengenbegrenzung, in deren Rahmen sich das be-stimmte Individuum frei, also bereits nach eigenem Bedarf (meine Hervorhebung, K.G.) be-wegen, d.h. kaufen kann . Wir haben also bereits eine Umsetzung der Aneignung nach dem Bedarfsprinzip, (meine Hervorhebung, K.G.) wenn auch das Geldsystem, in welchem es wirksam wird, wegen seines begrenzenden Charakters als sein Gegenteil erscheint.”

So also “ersetzt” die neue Jacobssche Sozialismustheorie Marxens Thesen aus seinen “Rand-glossen” zur Kritik des Gothaer Programms!

Ebenfalls nicht gegen irgendwen, sondern gegen Marx‘ Thesen aus der Kritik des Gothaer Programmsgerichtet, sind auch unverkennbar Jacobs folgende Auslassungen: “Das Zögern der Kommunisten vor einem theoretischen Paukenschlag hat seine Ursache in der Furcht, den Kommunismus vor dem allgemeinen Wohlstand zu deklarieren. Das hat zur Folge, dass wir die qualitativen Faktoren beim Aufbau des Kommunismus unter- und die quantitativen überbe-werten, der Kommunismus wird auf die Entwicklung der Produktivkräfte reduziert. Bevor diese entwickelt sind – kein Kommunismus. Falsch daran ist, dass (was Jacobs hier sagen will, ist: Das ist deshalb falsch, weil) es im Kommunismus von Anfang an, mit jedem Schritt in eine höhere gesellschaftliche Produktivität, um allgemeine Aneignung des Produzierten geht, nie um exklusive. Und diese allgemeine Form der Aneignung, die der exklusiven in Eigentumsge-sellschaften diametral entgegensteht, hat der Kommunismus von seinen Verhältnissen her, nicht seinen Produktivkräften. Deshalb ist es richtig, von kommunistischen Verhältnissen des Sozialismus von Anfang an zu sprechen, und nicht erst von jenen Produktivkräften als kom-munistisch, auf die er noch eine Weile hin zu arbeiten hat.” (S.19/20)

Muss man es noch extra sagen, dass Jacobs hier Marx belehrt hat? Dass er mit diesen Worten die bekannte, immer wieder zitierte Feststellung von Marx im der Programmkritik für kor-rekturbedürftig erklärt, an der die Kommunisten so hartnäckig festhalten, statt endlich dem von Jacobs geführten “theoretischen Paukenschlag” Beifall zu klatschen und auf seine Seite über-zugehen? Nämlich diese Marx-Worte: “In einer höheren Phase der kommunistischen Gesell-schaft, … nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftliche Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!” (MEW, Bd. 19, S.21). Nein, sagt Jacobs, eben nicht erst dann, sondern im Sozialismus von Anfang an! Wer das nicht anerkennt, der hat den Kommunismus noch nicht richtig begriffen!

Und schließlich sei noch einmal an Jacobs “ehernes Diktum” erinnert und dieses mit Marxens Aussage konfrontiert:

Jacobs: Zu keiner Zeit von sozialistischer Realität nach der Oktoberrevolution … hat es in der Sowjetunion eine Warenproduktion gegeben, weder wirkte der Wert, das Wertgesetz.” (S. 8).

Marx: “Dasselbe Quantum Arbeit, das er (der einzelne Produzent) der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück. Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und weil andererseits nichts in das Eigentum der einzelnen übergehen kann außer in-dividuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer anderen ausgetauscht.”(MEW, Bd. 19, S.20).

Genau zur Widerlegung dieser Feststellungen von Marx hat Jacobs seinen oben erwähnten Exkurs: “Die zwei Formen der Aneignung” als Anhang zu seinem Artikel “Die ökonomische Form des Revisionismus” geschrieben, wiederum, ohne dies direkt zu sagen. In diesem Anhang versucht er ebenso wortreich wie kaum verständlich seine eigene Theorie der Marx’schen entgegenzustellen. Im Wesentlichen geht es ihm darum, – wenn ich wirklich zum Kern seines Anliegens durchgedrungen bin – zu begründen, dass Aneignung im Sozialismus schon kom-munistische Aneignung ist und sein muss. Das bedeutet, dass der gesellschaftlich produzierende Einzelne schon im Sozialismus nicht nur Anspruch darauf hat, aus dem gesellschaftlichen Güterfondsquantitativ so viel für sich zu entnehmen, wie dem entspricht, was er selbst zu diesem Fonds beigesteuert hat, sondern dass er das Recht hat, soviel zu entnehmen, wie er zur Deckung seines Bedarfes braucht. Der Wechsel des Gutes von einer Hand in die andere wird aber noch vermittelt durch das Geld. Das Geld ist aber nicht mehr Maßstab für Wert oder Ar-beitszeit, sondern “vom Wert getrennt”.

Man fragt sich, warum das Geld überhaupt noch nötig ist, wenn doch schon das Prinzip der Aneignung nach Bedarf gilt und nicht – wie bei Marx – das Prinzip der Aneignung entsprechend dem eigenen Beitrag, der eigenen Leistung.

Das beantwortet Jacobs, wie wir schon gesehen haben, (S.14/15) damit, dass noch Knappheit herrscht und deshalb der Aneignung Grenzen gesetzt werden müsse. Das könne entweder durch ein Kartensystem geschehen, oder durch Geld. Die Begrenzung durch das Geld sei aber vor-zuziehen, weil sie individuell und nicht gesellschaftlich sei, und die Verteilung im Kommu-nismus solle nun einmal individuell sein.

Es ist schon höchst kurios, dass sich Jacobs anscheinend überhaupt nicht die Frage stellt: wenn noch Geld zur Aneignung (also zum Kauf) von Gebrauchsgütern nötig ist, und die Menge Geld, die auf jeden Einzelnen entfällt, nicht mehr – wie bei Marx- durch das Maß an Arbeit bestimmt ist, das er zur Gesamtarbeit beisteuert, also durch seine Leistung, nach welchem Kriterium soll denn dann die Aufteilung der Geldmenge auf die einzelnen Produzenten erfolgen? Diese Frage existiert offenbar nicht für ihn, folglich erfordert sie auch keine Antwort. Bei Jacobs ist sie jedenfalls nirgends zu finden. Es sei denn, man gibt sich mit einer solchen Feststellung wie der folgenden als ausreichende Erklärung zufrieden: “An die Stelle des Individuums (individuellen oder privaten Produzenten), der Geld konsumtiv quantitativ anders einsetzt als er es produktiv erwirbt, tritt nun die Gesellschaft, deren Glied man mit der Aufhebung des privaten Eigentums wird. Man muss allerdings die individuelle durch eine gesellschaftliche, die “anarchische” durch eine geplante Geldpolitik ersetzen, das Inbesitznehmen von Geld ist dann eine Umsetzung der Planung der Arbeit.” ( H.15/03, S.53/54, Fn. 56)

Aber damit kann man sich natürlich nicht zufrieden geben, denn es gibt auf die Frage, wovon der Anteil von Geld bestimmt wird, der laut Plan von jedem Einzelnen “in Besitz genommen” werden darf, keine Antwort. Wie argumentiert Jacobs im erwähnten “Anhang”? Er beginnt seinen Anhang so: “Allgemein zum Verständnis der beiden Prinzipien der Aneignung, worin gewechselt werden soll: Das Selbst, also das Private, das Eigentum regulierende Prinzip der Ökonomie – die an eine Gesellschaft der Arbeit gerät/geraten, – ist das Wertprinzip. Inhaltlich heißt Wertform, dass eigene Arbeit – oder die Arbeit individuell – angeeignet wird, nicht andere, nicht gesellschaftliche Arbeit, die für die eigene Arbeit ‚für mich‘ geleistet wird.
Aber eigene Arbeit wird in einer allgemeinen Form angeeignet, die damit der Darstellung bedarf und die, wenn sich jeder, der arbeitet, so darstellt, Aneignung der eigenen Arbeit als eines Teils der Arbeit aller als einer eigenen ist, die eigene Arbeit ist gesellschaftlich gleichgesetzt, ist gesellschaftlich gleiche Arbeit (dies ist mit der Theorie der abstrakten Arbeit von Marx erklärt worden).” (H.15/03, S.52).

Mit dem, was darauf folgt, wird der “salto mortale” oder auch das “simsala bim” eingeleitet, mit dem anstelle der Marx‘schen Aneignung von Äquivalenten die allgemeine Aneignung von Mehr-als – Äquivalenten möglich werden soll: “In dieser Form der Aneignung der eigenen Arbeit in einer allgemeinen Form, worin der gesellschaftliche Zugang gegeben, sind alle Momente einer höheren Form der Aneignung der Arbeit enthalten, nämlich auch ihre Umkehrung, dass man gesellschaftliche Arbeit, die Arbeit aller oder anderer, als eigene aneignet. Die Voraussetzung, erst muss eigene Arbeit in die Gesellschaft eingespeist werden, dann kann andere Arbeit angeeignet werden, kann gebrochen worden[so bei Jacobs] (d.h. Arbeit kann auch unmittelbar gesellschaftlich angeeignet werden, es bedarf nicht der Wertform oder der eigenen Arbeit in der Voraussetzung.)”

Dazu gibt es eine Fußnote 53, in der u.a. gesagt wird: “Wie unsinnig, ist die Arbeit erst mal gesellschaftlichen Charakters geworden, alle Aufmerksamkeit weiterhin auf das Individuum, die ‚private Aneignung‘ zu richten. Aber diese Wende darf nicht wieder verunglimpft und dem Zweifel ausgesetzt werden, wenn es z. B. heißt: ‚Niemand darf auf Kosten anderer leben.‘ Dann ist der Kommunismus, der in der Arbeit seine Grundlage hat, (nicht in Philantropie) noch immer unbegriffen.”

Denn was ist “kommunistische Aneignung der Arbeit”, die auch schon im Sozialismus zu gelten hat? “Unter kommunistischer Aneignung der Arbeit verstehen wir nicht die Aneignung der eigenen Arbeit, in einer gesellschaftlichen Form, sondern die Aneignung der gesellschaftlichen Arbeit – für den eigenen Bedarf.”(S.55)

Nun müsste doch auch Jacobs klar sein, dass der Satz: “Niemand soll auf Kosten anderer leben” mit anderen Worten das Gleiche sagt, wie Marxens Formulierung des Verteilungsprinzips im Sozialismus: “Jedem nach seiner Leistung”. Nach Jakobs ist Marx also kein kommunistischer Ökonom, sondern – ein Philanthrop, der den Kommunismus nicht begriffen hat.

Ist das nicht ein klein wenig zuviel der Selbsterhöhung?

Das ist aber noch nicht alles, was Jacobs bei Marx an fehlerhaften Thesen entdeckt hat und nun “richtig stellt”; nein dazu gehört auch die schon einmal zitierte Feststellung von Marx in der Gothaer- Programm-Kritik, dass erst in der zweiten Phase des Kommunismus, “der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben (kann): Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!”

Nein, sagt Jacobs, diese kommunistische Aneignung der Arbeit beginnt bereits im Sozialismus, mit der Planwirtschaft, und damit “ist die bürgerliche Rechtslage völlig aufgehoben, in ihr Gegenteil gekehrt. Sozialismus ist ein neues Rechtsverständnis in der Ökonomie. Es ist ein neues Rechtsverständnis, keineswegs ein neues Ökonomieverständnis.” (S.55).

Warum sprach ich oben von “salto mortale” oder “simsalabim” der Jacobs’schen Theoriebil-dung? Weil nach dieser Theorie im Sozialismus bereits nach dem Bedarfsprinzip verteilt werden kann, und weil sogar jeder Einzelne sich nach Bedarf aneignen kann, ohne selbst einen Beitrag geleistet zu haben.(“Die Voraussetzung, erst muss eigene Arbeit in die Gesellschaft eingespeist werden, kann gebrochen werden”; ferner die Polemik gegen den Grundsatz “Niemand darf auf Kosten anderer leben”.) Das bedeutet ja in der Konsequenz nichts anderes als, dass im Sozialismus von der Gesellschaft mehr genommen werden kann, als ihr insgesamt gegeben wird. Jacobs wird diese Konsequenz heftig bestreiten, aber sie ergibt sich nun einmal aus dem Gedankengebäude, das er so mühevoll errichtet und dessen Struktur und Inhalt noch mühevoller zu erschließen ist, wie im Nachfolgenden weiter zu sehen ist.

Im Anhang geht es weiter mit der Erklärung, was unter den “zwei Formen der Aneignung” zu verstehen ist: “Es sind ja zwei verschiedene gesellschaftliche Bestimmungen. Einmal tritt man als Produzent auf und eignet an, was man selbst produziert hat – dies gesellschaftlich die Wertform, und andermal tritt man als Konsument auf und eignet an, was andere für einen…produziert haben – dies gesellschaftlich die Güterform.” (S.52.

Was für ein Produzent ist hier gemeint? Offensichtlich ein Privatunternehmer, denn der Pro-duzent in einem der ganzen Gesellschaft gehörenden Betrieb ist nicht Eigentümer der von ihm produzierten Produkte – sie sind von Anfang an Eigentum der ganzen Gesellschaft. Er selbst bekommt nur eine Bescheinigung über geleistete Arbeit in Gestalt des Arbeitslohnes. Deshalb kann von einer Aneignung seiner eigenen Arbeit als Produzent gar keine Rede sein, sondern nur von einer Aneignung von Konsumgütern durch ihn als Konsument. Deshalb wären die Be-trachtungen über“Zwei Formen der Aneignung” nur sinnvoll, wenn entweder von privaten Unternehmern oder von Genossenschaften in Landwirtschaft, Gewerbe oder Handel die Rede ist. Und deshalb fehlt auch allen nachfolgenden Betrachtungen über die Unterschiede von “produktiver” und “konsumtiver” Aneignung eine Entsprechung in der Wirklichkeit. Ich führe sie dennoch an, damit sich der Leser gerade davon überzeugen kann.

Die “zwei verschiedenen gesellschaftlichen Bestimmungen” der Aneignung sind also einmal “die produktive”, d.h., jene die man als Produzent tätigt, und die zweite “die konsumtive”, d.h. jene, die man als Konsument tätigt. Jacobs fährt fort: “Auch die konsumtive Bestimmung ist eine quantitative Bestimmung der Arbeit, sie ist kein maßloses, sondern auch ein begrenztes wie ökonomisch begründetes Recht.” Das soll wohl ein Hinweis auf die Begrenzung der “Be-darfsbefriedigung” durch Knappheit sein, ( wie schon weiter oben einmal erwähnt.)

Doch weiter im Jacobs-Text: “Obwohl beide Formen der Aneignung die Bedingung erfüllen, quantitativ bestimmt, also rational zu sein (Zugriff auch auf Arbeitszeit zu sein, hier nur vermittelt über das Produkt – bei Wertform ist es genau umgekehrt, ist Zugriff auf das Arbeitsgut vermittelt über die Wertform), ist diese nicht von gleicher Größe.” (Soll heißen: Was ich als Produzent aneigne, ist quantitativ unterschieden von dem, was ich als Konsument aneigne.) “Quantitativ gleich ist die Konsumtion der Produktion nur dann, wenn die Konsumtion eine Umsetzung nur der eigenen Produktion ist, ihr Maß in dieser findet (was dann allerdings den Wert als Gegenstand der Aneignung unterstellt.)”(Meine Hervorhebung).

Das ist absoluter Unsinn. Der Wert kann nicht Gegenstand der Aneignung sein, denn der Wert ist eine Eigenschaft des angeeigneten Produkts, nicht das Produkt selbst. Er ist lediglich das Maß für den Austausch mit anderen Produkten. Aber solcher Unsinn kommt heraus, wenn man sich darauf versteift, eine neue Sozialismustheorie zu erfinden, in der bereits im Sozialismus ein ökonomisches Recht auf Konsum und die Wirklichkeit des Konsums nicht entsprechend der Leistung, sondern entsprechend dem Bedarf besteht, wie Jacobs im folgenden Satz erneut postuliert: “Sie (die Konsumtion) ist aber ungleich, d.h. Konsumtion kann/muss ein Mehr oder Weniger als die eigene Produktion sein, wenn die eigene Konsumtion die Produktion anderer, gesellschaftlicher Produzenten zur Grundlage oder zum Maß hat; d.h. wenn die ‚eigene Produktion‘ konsumtiv von der Gesellschaft, vom Bedürfnis der Gesellschaft auf die eigene Produktion bestimmt ist.”

Eine Erklärung für dieses “Kann/Muss” bleibt uns Jacob schuldig. Sollte er aber damit meinen, dass nicht bei jedem einzelnen Kauf (Geld-Ware-Wechsel) Äquivalente ausgetauscht werden, hat er nur eine Banalität ausgesprochen, deren Erklärung längst bei Marx zu finden ist.

IV. Abschließende Bemerkungen zu den Beiträgen von Hermann Jacobs zur Diskussion über Fragen der politischen Ökonomie des Sozialismus

Gegen Schluss seines Artikels in Heft 4/04 gibt H. Jacobs folgende Einschätzung der bisherigen Debatte: “Der eigentliche Fortschritt der bisherigen Debatte besteht nicht darin, dass nun offen von der Reform als Revisionismus gesprochen wird – obwohl darin auch ein Fortschritt ist: der zweite -, sondern dass von einer höheren, kommunistischeren Praxis – und deshalb Theorie – der Planwirtschaft gesprochen wird, ihrer eigentlichen.” Der Fortschritt besteht – heißt das – darin, dass in die Debatte nun endlich auch seine Theorie des Sozialismus ohne Warenproduktion eingeführt wurde. “Bevor es wieder zum Sozialismus kommt, müssen wir per Theorie – die auf der Praxis des Sozialismus beruht – die Frage der Warenproduktion, des Abschieds von ihr (oder des Nichtabschieds von ihr) klären. Wir müssen heute debattieren, um den künftigen Sozialismus frei von dieser Debatte zu machen. Experimente sind einmal gut – auch falsche, aber nicht zweimal gut. Es handelt sich um eine theoretische programmatischen Diskussion für eine Praxis von morgen.”(S.21).

Ich habe Verständnis für diese Sicht von Hermann Jacobs. Schließlich hat er nun schon viele Jahrzehnte mit diesem Problem gerungen, und die “neue Theorie”, die er in unserer Debatte erstmals in Heft 4/04 als eine Gegentheorie zur “offiziellen” Theorie offenbart und vorgestellt hat, ist für ihn so etwas wie sein Lebenswerk. Um die allgemeine Anerkennung seiner – wie er es sieht – fundamentalen, für einen künftigen Sozialismus lebenswichtigen Erkenntnisse hat er sich schon in der DDR bemüht, aber natürlich ohne Erfolg. Nach dem Untergang der DDR schien die Situation günstig zu sein dafür, seinen in der DDR abgelehnten Ansichten endlich Gehör zu verschaffen. (Wenn ich mich richtig erinnere, wurde auch ein von ihm verfasstes, aber in der DDR zum Druck abgelehntes Buch nach der so genannten “Wende” im Dietz-Verlag veröffentlicht und lobend im ND rezensiert.)

Nach alledem wäre er, wenn es ihm nicht um die Anerkennung der von ihm als für den Sozia-lismus lebenswichtig betrachteten Erkenntnisse, sondern nur um seine persönliche Anerkennung gegangen wäre, nach 1989 in den Reihen der viel zu vielen Wendehälse zu finden gewesen, die eifrig daran arbeiteten und noch daran arbeiten, den Auftrag der “Sieger” zur Delegitimierung der DDR zu erfüllen und überzuerfüllen. Die aber verabscheut er und hat nie darin geschwankt, die DDR, den Sozialismus, zu verteidigen.

Aus diesem Grunde schätze und achte ich Hermann Jacobs als Genossen und Mitkämpfer. Mir wäre deshalb auch viel wohler, wenn ich mich zu seinen Beiträgen kurz und uneingeschränkt zustimmend hätte äußern können. Warum das nicht geht, dürfte aus dem bisher Gesagten schon deutlich geworden sein, soll aber noch umfassender begründet werden.

Sein Beitrag zur Debatte über den Revisionismus und dessen Wurzeln hat nicht Klärung be-wirkt, sondern die Debatte auf Abwege geführt. Für ihn liegt die Ursache für den Revisionismus im Bereich der Ökonomie, in einer falschen Theorie über die Ökonomie des Sozialismus, in der Theorie von dem “Mit- und Nebeneinander von Warenproduktion und Planwirtschaft.” In Wahrheit steckt – wie schon Marx, Engels und Lenin aufgezeigt haben – die Wurzel des Revisionismus (wie des Reformismus und Opportunismus) im Politischen, in den Interessen von Schichten der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums an der Klassenversöhnung anstelle des Klassenkampfes, an der Reformierung des Kapitalismus anstelle seiner revolutionären Beseitigung, und in der Sowjetunion und in sozialistischen Ländern: im Interesse bestimmter Schichten und Gruppen in der sozialistischen Gesellschaft am dauerhaften “friedlichen Zusammenleben” mit dem Imperialismus anstelle des Kampfes um seine Liquidierung, anstelle der Weltrevolution. Kurzum: Der Revisionismus ist ein Produkt des Klassenkampfes und von Klasseninteressen, nicht aber von falschen Theorien. Am Anfang stehen die Interessen, nicht Theorien. Theorien sind immer Ausdruck von Interessen. Dies zum ersten.

Zum zweiten: Jakobs Erklärung der Wurzeln des Revisionismus ist ökonomistisch, geht von einer ökonomistischen Vorstellung vom Verhältnis von Ökonomie und Politik aus, kennt nicht oder missachtet, was Lenin über das Primat der Politik ausgesagt hat. Als Trotzki und Bucharin Lenin in der Diskussion über die Gewerkschaften 1921 vorwarfen, er, Lenin, gehe politisch an die Frage heran, sie aber “wirtschaftlich”, führte er aus: “Politik ist der konzentrierte Ausdruck der Ökonomie… Die Politik hat notwendigerweise das Primat gegenüber der Ökonomik. Anders argumentieren heißt das ABC des Marxismus vergessen…. Die Frage steht lediglich so (und kann marxistisch auch nur so stehen): Ohne politisch richtig an die Sache heranzugehen, wird die betreffende Klasse ihre Herrschaft nicht behaupten und folglich auch ihre Produktionsaufgabe nicht lösen können.” (Lenin, Werke, Bd. 32, S.73/74).

Jacobs enge Fixierung auf die Ökonomie bei der Erklärung der Ursachen für den Revisionismus ist umso erstaunlicher, als er ja beansprucht, bei ihm ginge es “um das Fassen der Gesellschaft als Gesamtheit.” (S.17). Aber in seiner Argumentation herrscht das Gegenteil vor: er hat nicht einmal die Gesamtheit der ökonomischen Probleme im Auge, geschweige denn die der gesamten Gesellschaft. Den Revisionismus in der Ökonomie sieht er erstens nur in der Theorie, und hier wiederum nur in dem Ausschnitt “Warenproduktion oder Planwirtschaft”.

Mit die schlimmste Verwirrung richtet er damit an, dass er den Revisionismus und die Revi-sionisten verharmlost, indem er meint, der Revisionismus sei auf den Bereich der Theorie beschränkt geblieben, die Praxis sei davon nicht betroffen worden. Und zu dieser Ansicht gelangt er, weil sein Blick unentwegt nur fixiert ist auf das eine Problem: Warenproduktion im Sozialismus. Diese doppelte Einengung der Sicht wird besonders deutlich bei seiner Kritik am Beitrag von Andrea Schön und Gerald Hoffmann. Die beiden werden von ihm dafür gelobt, dass sie klar Kritik üben an den Reformen in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern, welche die Warenproduktion ausdehnen wollen; dann aber stellt er kritisch fest: “Beide Autoren übertreiben nach meiner Meinung in der Frage der praktischen Durchsetzung der Reform. Sie erheben, was nur Widerspruch, nicht Bruch war, schon zum Bruch(des Sozia-lismus mit sich selbst). Der Sozialismus war rein seiner Praxis nach nicht so weit revidiert, wie sie ihn revidiert wähnen. (S.15). … Die Praxis der Reform, des Revisionismus in der Frage der Warenproduktion (oder rein des wertökonomischen Preissystems…) hat nicht stattgefunden. … Der Revisionismus der Reform ist wesentlich über seine theoretische Form … nicht hinaus-gegangen.” (S.17).

Er hat also nicht bemerkt, dass der Revisionismus in die Wirtschaftspolitik, also in die Praxis, der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten , schon kräftig Eingang gefunden hatte. Für ihn ist es offenbar kein ökonomischer Revisionismus, wenn gegen das Gesetz der vorrangigen Entwicklung der Abteilung I (Produktionsgüter) vor der Abteilung II (Konsumgüter) verstoßen wird, indem die Abteilung II auf Kosten der Abteilung I bevorzugt wird. Für ihn ist es auch kein ökonomischer Revisionismus, wenn in der Sowjetunion an die Stelle realistischer Wirt-schaftspläne ein fantastischer, alle objektiven Bedingungen außer acht lassender “Wirt-schaftsplan” verkündet , wie auf dem 21. Parteitag der KPdSU 1959, und beschlossen wird, wie auf dem 22. Parteitag 1961. (“Im nächsten Jahrzehnt (1961-1970) wird die Sowjetunion beim Aufbau der materiell-technischen Basis des Kommunismus die USA – das mächtigste und reichste Land des Kapitalismus – in der Pro-Kopf-Produktion überflügeln; … Als Ergebnis des zweiten Jahrzehnts (1971-1980) wird die materiell-technische Basis des Kommunismus er-richtet, die einen Überfluss an materiellen und kulturellen Gütern für die gesamte Bevölkerung sichert.” (Programm und Statut der kommunistischen Partei der Sowjetunion, Berlin 1961, S.62). Für ihn ist auch die Auflösung der MTS und der Verkauf ihrer Maschinen an die Kol-chosen, also die Erweiterung des Bereiches des Warenaustausches, keine der Reformen, die er als revisionistisch für bekämpfenswert hält. Für ihn ist es auch nicht Revisionismus, wenn an die Stelle der immer weitergehenden Verflechtung der Volkswirtschaften der sozialistischen Länder durch Koordinierung ihrer Pläne innerhalb des RGW ein bürgerlich-nationalistisches Prinzip der nationalen “Selbstbestimmung” gesetzt wird: “Fragen des Unterschiedes in den konkreten Formen der Entwicklung des Sozialismus sind ausschließlich Sache der Völker der einzelnen Länder”.( Jugoslawisch-sowjetische “Belgrader Deklaration” v. 2. Juni 1955).

Es ließen sich noch viele Beispiele des praktizierten ökonomischen Revisionismus aufzählen, die ihm offenbar entgangen sind.

Das ist umso merkwürdiger, als in “offensiv” nicht wenige Artikel erschienen sind, in denen Beispiele von praktiziertem Revisionismus in Politik und Ökonomie der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder angeführt wurden. Jacobs hat sie einfach nicht zur Kenntnis genommen, auf jeden Fall nicht für notwendig gehalten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine solche Blindheit oder auch einfache Nichtbeachtung von Fakten, die der eigenen Theorie widersprechen, das sture Behaupten der eigenen Position ohne jede Bereitschaft, sie immer wieder in Frage zu stellen und zu überprüfen, führt auf einen Weg, auf dem aus ursprünglich wissenschaftlichem Forschen zur Gewinnung von neuen Erkenntnissen rechthaberische Ste-ckenpferd-Reiterei werden kann.

Es verwundert ferner auch sehr, dass bei Jacobs nur vom vergangenen und vom künftigen Sozialismus die Rede ist, er aber mit keinem Wort auch nur erwähnt, dass es auch in der Ge-genwart sozialistische Staaten gibt. (Doch, ich muss mich korrigieren: es gibt – wenn ich nichts übersehen habe – eine einzige Ausnahme: zweimal nimmt er Bezug auf China, einmal im “Anhang” in Heft 15/03, S.55, Fn.60, zum anderen in Heft 4/04 aufS.19, Fn 14. Im ersten Falle sagt er, China befinde sich noch in einer Übergangsphase zum Sozialismus. Die Fußnote 14 in Heft 4/04 bleibt mir allerdings unverständlich. Im Zusammenhang mit folgender Feststellung: “Unter der Bedingung, dass noch von keiner kommunistischen Praxis die Rede sein kann, kann auch das Gegenteil des Kommunismus Kommunismus sein” folgt die Fußnote: “Man muss ja auch China ein Recht zubilligen, denn es ist doch …möglich.”)
Es kommt also heraus, dass er offenbar meint, seine Theorie hatte nur für die Vergangenheit und für die Zukunft Bedeutung, nicht jedoch für die gegenwärtigen Probleme der sozialistischen Staaten.

Um dem Ganzen einen versöhnlichen Abschluss zu geben, gebe ich noch einmal Ingeborg Böttcher das Wort, die zum Abschluss ihrer Kritik an Jacobs (in Heft 6/03, S.46) schrieb: “Dafür, dass ich hierbei – ( bei der ‚Wahnsinnsarbeit der Entwirrung und Entschärfung des Fragments von Hermann Jacobs über die Ökonomie des Sozialismus‘) Vieles neu hinzu gelernt und erkannt habe, möchte ich mich bei Hermann Jacobs wie auch bei der Redaktion von Of-fensiv herzlich bedanken.”

Damit sollte es aber in “Offensiv” nun genug damit sein, noch weiteren Platz für Thesen zur Verfügung zu stellen, die denjenigen, der sie zu verstehen versucht, zu einer “Wahnsinnsarbeit” der “Entwirrung” von vielfach Verwirrtem zwingt. Der Platz wird dringend gebraucht für Beiträge zur Erforschungen der Ursachen des Niederganges des Sozialismus in Europa und der Krise der kommunistischen Bewegung anhand von umfassenden konkreten Analysen von Politik und Ökonomie der sozialistischen Staaten, aus denen wir die Lehren ziehen können für den Erfolg des zweiten Anlaufs zur sozialistischen Umgestaltung Europas und der Länder der ehemaligen Sowjetunion.

Verfasst zwischen dem 19. Juli und 4. August 2004

Veröffentlicht in“0ffensiv” Heft 7/04 (September – Oktober 2004), S. 16-37.
Eine Erwiderung von H. Jacobs ist veröffentlicht in “0ffensiv” Heft 9/04 (No-vember – Dezember 2004), S.49-52.

Kurt Gossweiler

NACHTRAG ZUM JACOBS-ARTIKEL.

Bei der Durchsicht der Aufsätze von Hermann Jacobs ist mir ausgerechnet der entgangen, der zwar auch in der bekannten kaum verständlichen Sprache geschrieben, und in dem auch eine äußerst anfechtbare Behauptung enthalten ist, der aber nach meiner Ansicht doch deshalb wichtig und den Leser wirklich bereichernd ist, weil er über eine bedeutsame Änderung der Auffassungen über das ökonomische System des Sozialismus in der Sowjetunion informiert. (Offensiv 11/03, S. 41-48).

Jacobs verglich die erste Auflage des sowjetischen Lehrbuches “Politische Ökonomie Kapita-lismus/Sozialismus” von 1954 mit der 1962 erschienenen 4. Auflage und stellte dabei fest: In der ersten Auflage wird die Warenproduktion im Sozialismus als eine mit dem Übergang zum Kommunismus verschwindende Erscheinung gekennzeichnet, in der 4. Auflage von 1962 jedoch als eine dem Sozialismus wie auch dem Kommunismus wesenseigene, dauerhafte Produktionsform.

Diese das Eindringen des Revisionismus in die sowjetische Politökonomie markant zum Aus-druck bringende Änderung war mir bei meinen Untersuchungen der Entwicklung des Revisi-onismus in der Sowjetunion bisher entgangen. Für diese Information bin ich Hermann Jacobs dankbar.

Leider geht es aber auch in dieser Arbeit von H. Jacobs nicht ab ohne eine mit großer Be-stimmtheit vorgetragene, aber absolut abwegige Behauptung. Es geht dabei um das Volksei-gentum, das nach Jacobs von Stalin falsch definiert wurde. Jacobs kritisiert Stalin wie folgt: “Stalin erhebt das im Verhältnis zu den Bauernkollektiven agierende Volkseigentum zum Ei-gentum. Er tut etwas im Grunde Überflüssiges. Er spricht in dieser Beziehung zwischen Volkseigentum und neuer Kollektivwirtschaft vom Volkseigentum wie Eigentum. Und das ist der Fehler. Nie ist Volkseigentum Eigentum.” (S.46)

Warum? Nach Jacobs deshalb:

“Volkseigentum ist nicht Eigentum, sondern ist seine Aufhebung. Es kann nur als das Gegenteil von Eigentum deklariert werden….Stalin definiert etwas für das Volkseigentum, was nicht mehr des Volkseigentums ist: Eigentum.(S.45)…

Stalin ist sich der Auswirkung auf die allgemeine Theorie nicht im klaren, wenn er das Volks-eigentum zum Eigentum erhebt, und zwar erhebt in dieser Abstraktion als Verhältnis als solchem. Und in der Beziehung zu einem wirklichen Eigentum – (dem Kollektiveigentum, K.G.) -, das sich auf den Weg zu einem Nichteigentum, also einem Volkseigentum gemacht hatte. Damit war das Verhältnis ausdeutbar, war seine innere Bestimmtheit/Dialektik von Allgemeinem – und Nichteigentum – und einem Besonderen – Eigentum auf dem Wege zum Nichteigentum – umzukehren, weil dieser Nichteigentumscharakter des Volkseigentums in Frage gestellt, zur Disposition gestellt worden war.” (S.46 f.)

Es ist schon merkwürdig, dass Jacobs anscheinend überhaupt nicht bewusst ist, dass die Schaffung des Volkseigentums so vor sich geht, dass durch die Enteignung der kapitalistischen Eigentümer deren privates Eigentum zu Eigentum des sozialistischen Staates wird, dass also Volkseigentum gleich Staatseigentum ist, von einem “Nichteigentum” also keine Rede sein kann.

Und genau so merkwürdig ist, dass ihm offenbar überhaupt nicht in den Sinn kommt, dass er mit seiner merkwürdigen “Theorie” vom Volkseigentum als “Nichteigentum” das Volk jedes sozialistischen Staates gedanklich enteignet, bevor das die Konterrevolution in der Praxis, wie z.B. in der DDR die Treuhandgesellschaft, getan hat, und dass wir Ossis deshalb nach seiner Theorie überhaupt kein Recht dazu haben, uns als von der BRD enteignet und beraubt zu be-klagen.

Es ergibt sich also, dass ich auch bei Berücksichtigung dieses Aufsatzes von Hermann Jacobs an der grundsätzlichen Einschätzung seiner Arbeiten in meinem Artikel im Heft 7/04 keine Änderung vorzunehmen habe.

Veröffentlicht in “0ffensiv”, Heft 9/04 (November – Dezember 2004), S. 52 f.

* Frank Flegel ist Redakteur von “Offensiv” -Zeitschrift für Sozialismus und Frieden.