Die Ermordung Ernst Thälmanns und der Umgang mit seinem Andenken Ein Beispiel des Kampfes deutscher Machteliten gegen gesellschaftliche Alternativen und deren Träger (Juli 1994)

Kurt Gossweiler

DIE ERMORDUNG ERNST THÄLMANNS
UND DER UMGANG MIT SEINEM ANDENKEN –
EIN BEISPIEL DES KAMPFES DEUTSCHER MACHTELITEN GEGEN GESELLSCHAFTLICHE ALTERNATIVEN UND DEREN TRÄGER
Es geht nicht nur um Thälmann – das soll heißen: es geht auch und noch mehr um seine Sache, die Sache der Befreiung des deutschen Volkes und der Menschheit von Imperialismus und Krieg, um diese auch unsere Sache, die einen so furchtbaren Rückschlag erlitten hat;

Es geht nicht nur um Thälmann – das soll ferner heißen: es geht auch um seine Mörder und deren direkte und indirekte Auftraggeber sowie um deren Nachfahren, die Sozialistenverfolger am Ende unseres Jahrhunderts.

Als Hitler und Himmler am 14. August 1944 zusammen saßen und beschlossen: “Thälmann ist zu exekutieren” , da gestanden sie mit diesem Mordbeschluss ein, dass dieser Führer der deutschen Kommunisten ihnen – nach elfjähriger qualvoller Einzelhaft! – eine Niederlage beigebracht hatte. Was hatten sie nicht alles versucht, um ihn durch Folter zu brechen und durch lockende Angebote dazu zu bringen, die Rolle eines “Bekehrten” , eines Verräters in einem Prozess zu übernehmen, der nie stattfand, weil Thälmann weder zu brechen noch zu bestechen war.

Wenn er in seinen Kerkernotizen niederschrieb: “Für den Menschen, der für die Befreiung der werktätigen Menschheit kämpft, hat das Leben einen umfassenderen Sinn, und in demselben Maße verliert der Schmerz für ihn an Bedeutung, da er dem Leben einen höheren Wert gibt” , (Thälmann Biographie, S. 653 f.) drückte er aus, was den Zehntausenden Kommunisten und Sozialisten die Kraft gab, den brutalsten körperlichen und sadistischsten psychischen Foltern zu widerstehen.

Ernst Thälmann war in der Tat die kraftvolle Verkörperung des Besten im deutschen Volke, seiner klassenbewussten Proletarier. Die bewegendsten Erlebnisse der Genossen meiner Generation sind auf die eine oder andere Weise mit Ernst Thälmann verbunden. Ich denke da – um nur ein Beispiel zu nennen – an die wohl eindrucksvollste, wuchtigste Demonstration, die Berlin in den Jahren nach der Revolution erlebt hat – den stundenlangen Zug Berliner Frauen, Männer und Jugendlicher am 25. Januar 1933, vorbei an “Teddy” und den anderen Führern der KPD, an der Tribüne am Karl-Liebknecht-Haus – bei klirrender Kälte, in der abgetragenen, kaum schützenden Proletarier-kleidung der verheerendsten Wirtschaftskrisenjahre. Das war die Antwort des roten Berlin auf die SA-Provokation an der gleichen Stelle eine Woche zuvor. Und ich denke an die große internationale Solidaritätsbewegung zur Befreiung Ernst Thälmanns, die zu erleben ich im Sommer 1934 in Paris das Glück hatte. Auf deutsch und französisch wurde damals Erich Weinerts Thälmann-Lied gesungen:

Ernst Thälmann, der ging uns voran,
die Faust geballt zum Schlagen.
Kolonnen wuchsen Mann an Mann,
den Kampf voran zu tragen.
Er ging voran, wo die Fahne braust.
Für den Kameraden Thälmann: Hoch die Faust!

Er fiel den Schindern in die Hand.
Sie kauften falsche Zeugen.
Er hält der Qual und Folter stand.
Sie konnten ihn nicht beugen
Trotz Mord und Tod, der im Keller haust!
Für den Kameraden Thälmann: Hoch die Faust!

Es schallt Alarm. Das Mordgericht
Will ihm den Kopf abschlagen.
Doch wenn die Welt zum Sturm aufbricht,
dann werden sie’s nicht wagen!
Reißt weg das Beil, das schon niedersaust!
Für den Kameraden Thälmann: Hoch die Faust!

Dimitroff haben wir befreit,
weil wir die Welt entflammten.
Drum wieder in die Ohren schreit
den Henkern, den verdammten:
Die Welt ist wach, die Empörung braust!
Für den Kameraden Thälmann: Hoch die Faust!

Die Kraft der internationalen Solidaritätsbewegung reichte zwar nicht aus, die Faschisten zu zwingen, Thälmann freizugeben. Aber sie war doch lange Jahre stark genug, sie daran zu hindern, Ernst Thälmann – wie so viele – heimlich und lautlos zu liquidieren. Er war und blieb der promi-nenteste Gefangene der Hitlerbande, den zu besuchen immer wieder ausländische Delegationen forderten. Als sich jedoch – nach dem Sieg der Roten Armee in Stalingrad, im Kursker Bogen und nach der Eröffnung der Zweiten Front am 6. Juni 1944 – die unabwendbare Niederlage Nazi-deutschlands immer deutlicher abzeichnete, geriet Thälmanns Leben in immer größere Gefahr. Darüber war er sich selbst völlig klar. Er schrieb in einem Brief an einen Mithäftling schon im Januar 1944: “Niemand kann voraussagen, was morgen oder übermorgen mit mir geschieht oder geschehen kann… Das Hitlerregime wird in einer solchen Situation nicht davor zurückschrecken, Thälmann für immer zu erledigen.” (Biographie, S. 774)

Am 18. August 1944 löschten die feigen Mörder Thälmanns Leben im Konzentrationslager Bu-chenwals aus. Erst am 14. September abends 20.45 Uhr verbreitete der Reichsrundfunk die Lü-genmeldung, Breitscheid und Thälmann seien bei einem angloamerikanischen Luftangriff am 23. August 1944 umgekommen. (Willi Bredel, Ernst Thälmann, Berlin 1948, S. 159 f.)

Die Entscheidung zur Ermordung Ernst Thälmanns war keineswegs nur eine Sache der Faschistenhäuptlinge. Seine Ermordung entsprach genauso der Überlebensstrategie des deutschen Imperialismus.

Die deutschen Konzernherren hatten Hitler 1933 die Macht übertragen, weil er ihnen der geeignete Mann zu sein schien, das Versprechen, den Marxismus “mit Stumpf und Stiel auszurotten”, auch in die Tat umzusetzen. Und sie halfen kräftig mit beim Ausbau des faschistischen Terrorapparates mit seinem System der Konzentrations- und Vernichtungslager – eigens dafür diente innen ja der “Freundeskreis Himmler” – damit Hitler auch sein im Kriege vielfach erneuertes Versprechen wahr machen konnte: “Ein November 1913 wird sich nicht wiederholen!”

Aber nun, im Sommer 1944, drohte ein neues und viel schlimmeres 1918 nicht nur der Nazi-Clique, sondern dem deutschen Imperialismus: Die Rote Armee, von der Hitler am 2. Oktober 1941 prahlerisch verkündet hatte: “Dieser Gegner ist bereits gebrochen und wird sich nie wieder erheben!”, stand an der Reichsgrenze!

Verfolgt von der Horrorvorstellung, was geschehen könnte, wenn die auf deutsches Gebiet vor-dringende Rote Armee die politischen Gefangenen in den KZs und Zuchthäusern befreien und ein Ernst Thälmann sich an die Spitze einer Aufstandsbewegung gegen das Nazi-Reich stellen würde, handelten die Faschisten mit dem Massenmord an Antifaschisten in den Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen, mit der Überraschungsaktion “Gift”, der schlagartigen Verhaf-tung nach bereitliegenden Listen von 4-5000 Antifaschisten am 22. August 1944 ganz im Sinne der Überlebensstrategie der imperialistischen deutschen Bourgeoisie.

Was 1918/19 als Rachefeldzug der durch die Revolution zu Tode erschreckten Bourgeoisie ablief – die Enthauptung der revolutionären Bewegung durch die Ermordung ihrer Führer und die mas-senhafte Hinmetzelung der revolutionären Arbeiter und Soldaten – das ließ die gleiche Bourgeoisie jetzt als Präventivschlag durchführen.

Und die Wehrmachtsgeneralität lieferte zur gleichen Zeit die mutigen Männer des 20. Juli – so weit sie noch am Leben waren – den faschistischen Henkern aus, indem sie sie aus der Armee ausstießen, damit sie – wie die Begründung lautete – “der Volksjustiz” überantwortet werden könnten. Wir haben allen Grund, heute auch jener Männer des 20. Juli – Offiziere und Zivilisten – ehrend zu gedenken, die es vor 50 Jahren unternahmen, Hitler und mit ihm das Hitlersystem zu beseitigen.

Zugleich aber können und dürfen wir – um der geschichtlichen Wahrheit willen – nicht darauf verzichten, auch auf den grundsätzlichen Unterschied im politischen und sozialen Gehalt der Kampfziele der Bewegungen hinzuweisen, die auf der einen Seite von Ernst Thälmann, auf der anderen etwa von Carl Goerdeler repräsentiert wurden. Dieser Unterschied kann kaum plastischer deutlich gemacht werden als durch das unterschiedliche Verhalten dieser beiden Persönlichkeiten gegenüber ihren faschistischen Verfolgern. Über die Haltung Thälmanns sind weitere Ausfüh-rungen nicht erforderlich.

Sehr anders verhielt sich Carl Goerdeler. nach seiner Verhaftung im August 1944 verfasste er eine Eingabe an Hitler, in der er unter anderem schrieb: “Wenn wir das Vaterland über alles stellen, was doch unser Glaube ist, so haben wir den 20. Juli als ein endgültiges Gottesurteil zu achten. Der Führer ist vor fast sicherem Tode bewahrt. Gott hat nicht gewollt, dass Deutschlands Bestand, um dessen willen ich mich beteiligen wollte und beteiligt habe, mit einer Bluttat erkauft wird; er hat auch dem Führer diese Aufgabe neu anvertraut. Das ist alte deutsche Auffassung. Jeder Deutsche in der Reihe der Umsturzbewegung ist nunmehr verpflichtet, hinter den von Gott geretteten Führer zu treten, auch die Mittel, die einer neuen Regierung zur Verfügung gestellt werden sollten, rückhaltlos ihm zu geben: ob er sie nützen will, für brauchbar hält, entscheidet er.” (Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1956, S. 431) Mögen jene Linken über diesen Haltungsunterschied nachdenken, denen eine Ehrung Carl Goerdelers als eines tadelsfreien Antifaschisten keinerlei Schwierigkeiten bereitet, die einer Ehrung Ernst Thälmanns aber nur mit erheblichem Wenn und Aber zuzustimmen vermögen. Die Faschisten konnten Ernst Thälmann töten – aber nicht verhindern, dass dank des Sieges der Sowjetunion seine Sache tri-umphierte – dass mit dem Nazifaschismus in einem Teil Deutschlands auch die Herrschaft der Imperialisten und Junker beseitigt wurde – wenngleich zunächst auch nur für 45 Jahre.

Heute und hier ist nicht die Zeit und der Ort, die Ursachen dafür zu untersuchen und zu diskutieren; nur eines müsste -meine ich – heute schon konsensfähig sein: wenn die Erneuerung des Sozialismus jemandem überlassen wird, der – wie Gorbatschow – von sich selbst sagt, seine politischen Sym-pathien gehörten “der Sozialdemokratie und der Idee eines Sozialstaates von der Art der Bundes-republik” (Spiegel 3/93, S. 127), dann kann dabei kaum etwas anderes herauskommen als her-ausgekommen ist.

Und so befinden wir uns heute erneut in einer Situation, da wir über uns wieder die gleichen Herren haben, die seit eh und je mit Eifer alle Keime aus dem Boden Deutschlands auszujäten bemüht sind, aus denen sich – und sei es auch ein noch so zartes – sozialistisches Pflänzchen entwickeln könnte.

Solche Keime gibt es in Neufünfland überraschenderweise für die neuen Herren noch recht viele, und je rabiater und radikaler versucht wird, sie auszumerzen – z.B. durch die Rückverwandlung von Bauernland in Junkerland – desto hartnäckiger halten sie sich am Leben.

Eine Hauptlinie des Kampfes der Herrschenden zur Auslöschung der Erinnerung an den ersten sozialistischen deutschen Staat ist die Tilgung der Denkmäler und der Namen von antifaschisti-schen Widerstandskämpfern als Namen von Schulen, Kindergärten, Straßen und Plätzen usw. Zu den am meisten bekämpften Gedenkstätten gehören jene, die Ernst Thälmann gewidmet sind, und hier besonders das Thälmann-Denkmal in der Greifswalder Straße im Prenzlauer Berg. In den Begründungen für die Forderung nach Schleifung dieses Denkmals werden zumeist heuchlerisch ästhetische Argumente vorgeschoben. Eine Ausnahme macht allerdings der Kurt-Schumacher-Kreis. In einem Schreiben an den Bezirksbürgermeister Manfred Rennert vom Prenzlauer Berg, datiert vom 6. Februar 1993, bedankt sich dieser Kreis von ehemaligen politischen Häftlingen “aus den Reihen der SPD im Kampf gegen die Nazi- und die SED-Diktatur” “für Ihre Absicht, das Thälmann-Denkmal aus dem Stadtbild Berlins entfernen zu lassen”. Thälmann sei “keine demokratische Persönlichkeit” gewesen, derer durch ein Denkmal in Berlin gedacht werden müsste, seine “von den Nazis bewirkte Haft und vermutlich (!) auch sein Tod gehen eindeutig (1) auf kommunistische Veranlassung zurück.” Der Kurt-Schumacher-Kreis schlägt dem Bezirksbürgermeister vor, alle kommunistischen Denkmäler Berlins aus dem Stadtbild ver-schwinden zu lassen. Solch blanken, unverhüllten Antikommunismus mochte die “Senatskom-mission zum Umgang mit den politischen Denkmälern der Nachkriegszeit im ehemaligen Ostberlin” in ihrem Bericht vom 15. Februar 1993 nicht offenbaren. Gegen das Denkmal wird von ihr angeführt,

– dass es “im Geiste Leninscher Monumentalpropaganda geschaffen” sei,

– dass dort Vereidigungen der NVA und “andere staatstragende Handlungen” stattgefunden hätten,

– dass Thälmann die KPD “nach bolschewistischem Vorbild straff zentralistisch organisiert auf einen unkritischen prosowjetischen Kurs gebracht” habe,

– dass die unkritische Darstellung seiner Person in Form einer Monumentalskulptur seiner realen historischen Bedeutung “keinesfalls gerecht”“ werde.

Natürlich ging es auch bei dieser Stellungnahme am allerwenigsten um Ästhetik, um künstlerische Maßstäbe. Es ging und geht vielmehr darum, dass die nunmehr auch wieder bei uns herrschende deutsche Bourgeoisie keine Denkmäler ihrer Feinde dulden will, ganz egal, ob diese künstlerisch hochwertig sind oder nicht. Die Debatte um das Thälmann-Denkmal ist keine Kunstdebatte, son-dern Klassenkampf. Dieser Klassenkampf wird mit zunehmender Intensität von oben geführt. Dabei zeichnet sich immer deutlicher als Ziel ab die Verwandlung der BRD in eine andere Re-publik. Die ersten Versuche dazu liegen übrigens schon Jahrzehnte zurück: Mit KPD-Verbot und Notstandsgesetzen wurde 1956 der erste Vorstoß zum Übergang aus der Republik des Grundge-setzes von 1949 in eine andere Republik unternommen; den zweiten Vorstoß unternahm Erhard als Bundeskanzler mit seinem Projekt der “formierten Gesellschaft”. Beide Vorstöße führten trotz Teilerfolgen nicht zum Ziel, denn es gab ja den zweiten deutschen Staat, demgegenüber man bemüht sein musste, sich als der demokratischere Teil Deutschlands auszuweisen. Und da konnte man sich auf die Dauer nicht leisten, als einziges westeuropäisches Land die Kommunisten zu illegalisieren, weshalb dann schließlich die Gründung der DKP zugelassen werden musste – al-lerdings bei Aufrechterhaltung des KPD-Verbotes.

An welchen Symptomen ist die jetzige Entschlossenheit zu erkennen, den Übergang in die ge-wünschte andere Republik nun voranzutreiben?

Erstens liefern die 15.000 Seiten des Berichtes der Eppelmann-Kommission das Material, um die DDR als Unrechtsstaat zu kriminalisieren und alle, die sie als ihren Staat betrachteten und vertei-digten, unter Ausnahmerecht zu stellen. Das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes wird für sie außer Kraft gesetzt; Zwangsverjüngung durch Nichtanrechnung von Arbeitsjahren, Berufsverbote und Rentenstrafrecht sind nur einige Beispiel dafür. Zweitens zeigt die Inkriminierung der Kommu-nistischen Plattform der PDS als verfassungsfeindliche, deshalb zu observierende Gruppierung die Richtung an, gesetzliche Handhaben zu einer neuen Kommunistenverfolgung zu schaffen. Drittens ist sowohl die Absicht und Praxis, die Bundeswehr auch zu anderen Zwecken als zur Verteidigung des eigenen Landes gegen einen Angriff von außen wie auch die Forderung, die Bundeswehr auch nach innen im Notstandsfalle einsetzen zu können, ein eindeutiger Angriff auf das Grundgesetz. Das Grundgesetz von 1949 wurde bisher von niemand anderem als von der Regierung und den sie tragenden Koalitionen in seiner demokratischen Substanz bedroht und amputiert. In weiche Richtung die Verwandlung der Bundesrepublik in eine andere Republik vor sich gehen soll, hat – dies ein viertes, deutliches Symptom – am klarsten die Einladung Kohls an den neuen italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi und dessen Empfang in Deutschland vor Augen geführt. Berlus-coni ist der Mann, der als erster westeuropäischer Regierungschef Faschisten in sein Kabinett aufgenommen hat, der also den bisher auch in Westeuropa seit dem Ende der Franco- und der Salazar-Diktatur 1974/75 gültigen Konsens durchbrochen hat: Faschisten sind nicht koalitions- und regierungsfähig. Er hat damit das getan, was christdemokratische und christsoziale Politiker schon seit langem auch in Deutschland gerne als “demokratische Normalität”, über die sich niemand mehr aufregt, herbeiwünschen. Sogar der Regierende Bürgermeister von Berlin, Diepgen, der das Image eines modernen Liberalen pflegt, hatte seinerzeit als einfacher CDU-Politiker geäußert, es wäre “geradezu hirnrissig”, die Republikaner “für alle Zeiten als koalitionsunfähig hinzustellen.” (ND, 14.7.94) Berlusconi wurde denn auch als mutiger Neuerer empfangen und gelobt. (Übrigens: man vergleiche das Getöse der CSU- und CDU-Politiker und der regierungsnahen Medien über die “Volksfront” in Sachsen-Anhalt mit den Lobreden Kohls für den Faschistenfreund Berlusconi, um zu wissen, wo Kohl seine “Demokratie” bedroht und wo er sie in besten Händen sieht.

Der Berlusconi-Empfang war unter anderem und keineswegs zuletzt eine psychologische Vorbe-reitung darauf, die neonazistischen Republikaner des SS-Mannes Schönhuber eines bösen Tages als Koalitionspartner der CSU oder der CDU vorzustellen. An dem Tage, an dem dies geschehen sollte, ist aber der Übergang in “die andere Republik” Tatsache geworden, weil der “antifaschis-tische Grundkonsens der Republik des Grundgesetzes von 1949 unvereinbar ist mit der Regie-rungsbeteiligung von Neonazis.

Von woher droht also dem Grundgesetz Gefahr? Wer sind die wahren Verfassungsfeinde? Wer will “eine andere Republik” mit weniger Demokratie? Wie schon in der Weimarer Republik: Es sind dies nicht die Kommunisten, auch nicht die PDS!

Clara Zetkin hat damals, 1924, im Reichstag erklärt, was auch heute noch gilt: “Wir haben keine Illusionen über das, was dieses bisschen bürgerliche Demokratie für die Arbeiterklasse wert ist, aber so wenig es bedeutet, wir unterschätzen es nicht. Während Sie (zu den Deutschnationalen) nur sinnen und trachten, wie sie diesen Anfang zur Demokratie beseitigen können, stehen wir allezeit bereit und gerüstet, diese armselige Demokratie gegen Sie zu schützen und zu verteidigen, und es wird sich zeigen, dass dieser Anfang zur Demokratie keine treueren, keine kampfentschlosseneren Verteidiger hat als gerade uns Kommunisten.‘ (Bd. 357, S. 8832, Stenographische Berichte des Reichstags)

Die Kommunisten warfen der Weimarer Republik – ebenso wie Carl v. Ossietzky, wie Kurt Tu-cholsky und Heinrich Mann – nicht ihre Demokratie, sondern ihren Mangel an konsequenter De-mokratie vor, die Dominanz der Feinde der Demokratie in dieser Republik; und der SPD verübelten die deren ständiges Zurückweichen vor den Angriffen von rechts und prangerten dies scharf an.

Nicht anders heute. Unser Bekenntnis zu Ernst Thälmann, zu seinen Idealen, zu seinem Kampf ist zugleich die Erklärung unserer Entschlossenheit, die bürgerlich-demokratischen Rechte und Er-rungenschaften in diesem Lande so entschieden und konsequent wie kein anderer gegen die wirk-lichen Verfassungsfeinde zu Verteidigen.

Beendet am 9. Juli 1994, erschienen in “Kommunistische Arbeiter-zeitung (KAZ)” Nr. 257, 19. August 1994, S. 11-12